Adelheid Dahiméne, Foto: Elisabeth Grebe

Adelheid Dahiméne, 1956 in Altheim/OÖ geboren, drei Kinder. Nach kaufmännischer Ausbildung einjährige Afrikareise. Seit 1991 freie Schriftstellerin. Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher, Roman- und Theaterautorin. Zahlreiche Literaturpreise.

 

Laudatio

Begründung der Jury – vorgetragen von Erika Kronabitter in Vertretung von Christine Huber

Liebe Adelheid, ich kann heute nicht hier sein, um Dir den Feldkircher Lyrikpreis persönlich zu überreichen. Der Grund: ich lese Gedichte von Erna Holleis in Wien, im Rahmen der “in memoriam”-Lesung im Literaturhaus. Und bitte, verzeih mir, das ist mir sehr wichtig.

Erna Holleis hatte noch, bevor sie Selbstmord beging, ihre Gedichte für diesen Preis eingereicht.

Da wir, die Jurorinnen, keine Namen bekommen, keine Angaben zur Person der Einreichenden, nur eine Zahlenkombination sehen und die Texte selbst, darf ich wohl verraten, dass ich mich für zwei erste Plätze entschieden hatte: das war Nr. 26156, Deine Gedichte und Nr 93827, jene von Erna Holleis. Bewusst wollte ich nicht evaluieren, denn, so die Erfahrung, erst die Jurysitzung erlaubt es, einen Art gemeinsamen Nenner zu eruieren. Und da fiel die Entscheidung zu Deinen Gunsten aus.

Dass ich heute in Wien Ernas Gedichte lesen darf, freut mich daher ganz besonders. Und ich bitte Dich um Verständnis, liebe Adelheid. Ihr Andenken liegt mir sehr am Herzen. Und so habe ich ein wenig die Chance, meine zwei ersten Plätze vor Publikum zu präsentieren, gleichsam auf zwei Hoch-Zeiten sein zu dürfen. Wundervolle Gedichte sind es allemal.

Liebe Adleheid, Ich darf Dir also ganz herzlich zum Feldkircher Lyrikpreis gratulieren, und ich habe die Ehre, wenn auch nicht persönlich, die Begründung mitzuliefern.

Deine Gedichte haben so vieles zusammengeholt und zusammengewirkt, was in sprachlichen Schichten zu finden ist. Du verwendest Redewendungen und Ausdrucksweisen gleichermaßen wie überraschende Kombinationen von scheinbar Vertrautem und zwingst ihnen eine so stimmige rhythmische wie lautliche Folge auf, dass einem beim Lesen gleichsam die Luft wegbleibt.

Das wäre sozusagen die Mindestbegründung.

Ich habe sie mit Vergnügen gelesen und Du weißt, das heißt bei mir keineswegs, dass ich deshalb Texte als konsumierbare Leichtware genießen kann, im Gegenteil: wenn ich Vergnügen sage, dann meine ich, dass jede neuerliche Lektüre (es sind ja letztlich nur fünf Gedichte und ich hab sie sicher schon zehn Mal gelesen) mir wieder eine neue Aufgabe gestellt hat: nämlich, nach der erwähnten Begeisterung für den Rhythmus und die Handhabe desselben in Präzision, die Suche nach Motiven, nach dem roten Faden. Und die geistern um einen Spagat aus scheinbar “hehren” Dingen (Löwe, Tiger, Berg usw.) und den ganz kleinen Notwendigkeiten, nicht zuletzt aus Alltag und seinen Folgen. Ein kühner Schnitt dann das Gedicht selbst. Und in diesem Sinn eben wirklich Gedicht: stellt alles auf den Kopf und erlaubt dem Rest, die Lesenden zu überraschen, aus der Spur zu fallen: “was war jetzt eigentlich los” zu fragen. Lang sind sie nicht die Gedichte, aber ausreichend lang um sofort wieder zurück an den Anfang zu wollen - was ist mit mir,
Lesende jetzt eigentlich passiert ... Und, zu alledem
blieb mir, selbst Lyrikerin, ein Schmunzeln: wie hat
sie das nur gemacht...

Was für ein Mut, was für eine Kühnheit.

Gratuliere!

Darfs noch Anekdotisches sein?

Es war ein Speisewagen und er war voll. Ich frag, ob ich mich dazusetzen darf. Mein visavis ist eine Frau und sie raucht (Zigarre!). Es kann also nicht allzuschlimm werden, die Fahrt von Wien nach Linz. Hoffentlich steigt sie nicht aus. Bis St. Pölten ist es immer besonders voll und laut, also verzieh ich mich in Lektüre, die oberflächlich und dennoch absorbierend ist - es war was über Traumdeutung, so etwas, was man in der Bahnhofsbuchhandlung schnell mal mitnimmt. Nach St. Pölten Entspannung im Wagon. Ich packe meine eigentliche Arbeit aus: Manuskripte lesen, für die Reihe Textvorstellungen in der Alten Schmiede, deren Mitredakteurin ich damals war. Meine visavis-Frau macht sich bemerkbar - ob ich diesen oder jenen kenne, sie hätte einen Namen gelesen, auf einem der Cover. Sie stellt sich vor. Ich stell mich vor. Und ich staune: ich hab auch von ihr ein Manuskript in dem zu lesenden Stapel. Ihre ersten Gedichte, wie sie sagt. Ich lese nichts mehr. Wir unterhalten uns, und wie und Linz ist so plötzlich da wie Wels, wo sie aussteigen wird, weit weg ist. Zu Hause in Wien dann die besonders intensive Lektüre ihrer Gedichte - und: sie gefallen mir nicht. Ich trau mich das auch zu formulieren. Viel zu viele Adjektive, sage ich: irgendwie Prosa, fragmentiert, meine ich. Das zweite Wunder: sie ist nicht eingeschnappt. Sie ist auch nicht nachtragend. Sie tut was, was Adelheid kann: weiterschreiben.

Um so glücklicher bin ich, dass mich ihre Gedichte, ohne zu wissen, von wem sie sind, jetzt so sehr als Gedichte überzeugt haben. Und dass sich meine Co-Jurorinnen dieser Meinung anschließen konnten. Wofür ich ihnen auch ganz herzlich danken möchte.

Gedichte

EIN WENIG ALS OB DIE HÄRTE
verschwunden aus Brettern
und Häuten mehr Schotter
und Sand beflüstert vom
Mischlaut der Trommel im
Ohr Schwungrad und Weißes
von einer Taube Federn mit
Fleisch an den Spitzen der
Kiele Reste als ob Festländer
gingen auf Himmelfahrt und
Atome den Tisch und das Bett
aus ihren Hemdsärmeln drehten

DANN WIEDER IM WEISSEN DAS WEISSERE NOCH
tiefe Profile stärkere Durchmesser kürzere
Zeiten und standfest der Löwe mit Haltung
nach Noten neun komma sieben seine
Bremsspur krallt sich den Wald bis an die
Wipfel sortiertes Revier senkrecht gemeißelt
Podeste für Sieger die besten die schnellsten
Kein Weg zu weit kein Berg zu hoch
Atmen ein aus flach flegelt der Wind in die
Kegel das Spiel ist vorm Jubel schon gar

WIR ERNTEN AUS NÄCHTEN WAS
vom Wachen uns übrig den
Schrott in den Laden die Schur
schwarzer Schafe im Dunkeln
das Munkeln von Trümmern
wir träumen die Mauern samt
Drähten quadrieren den Kreis
ohne Mühe lösen wir Fragen
aus den Scharnieren Säuglinge
wir saufende Tiere an giftigen
Tränken schlafen wir fort
über Blechmüll aus günstigen
Hirnen Wind schleift die Ufer
stetes Gefälle
wir unterschreiben die Listen
im Ernstfall ist alles unterbewußt

DAS ORGAN AUF EMPFANG GEDREHT
Gegen den Wind die Pflichtgeräusche
weit draußen auf Halbmast gehängt
innen schmieden Hammer und Amboß
das Eisen fürs Tasten der leiseren Spuren
das schwächere Klopfen die heißeren
Stimmen im Abspann ihr Sagen ein Feuerreif
unter der Plane im Sprung geht ein lautloser
Tiger durch in seinen Streifen ans Trommel
fell mit hörenden Zungen gebunden

SIND SO SOMMERTRÄUME VERTRAGENE GLUT
Hab dich im Herd vergessen im Herr
gottswinkel dem Zippstreifen Licht
speckst ihn mir ab streifst ein dir den
Knoblauchmund im Erinnern an Auf
erstehen an Weckrufe in deiner Wärme
möchte gern ich zerlassene Butter nie
Filmschmalz sein trete einmal dir nahe
dann fern sauge aus deine Sonne bis auf
den harten und doch schmelzbaren Kern