Anja Kampmann

Anja Kampmann, 1983 in Hamburg geboren, lebt in Leipzig. 2010 Stipendiatin des „International Writing Programm“ der Universität Iowa, seit 2011 Tätigkeit u.a. für den Deutschlandfunk und die NZZ. Teilnehmerin des Literaturfestivals Karachi 2011 und des Poesiefestivals Minsk 2013. Preisträgerin des MDR Literaturpreises 2013, Stipendiatin der Kulturstiftung Sachsen 2014, sowie Anerkennungspreis der Literaturbiennale Wuppertal 2014, Wald-Stipendium der Österreichischen Bundesforste 2014. Sie schreibt Lyrik und Prosa. Mitbegründerin der Veranstaltungsreihe „Tektonik“ für Lyrik und Neue Musik des Vereins forma Leipzig. Zuletzt: „Jsem – ich werde ihr erzählen“ in: Risikoanalyse, die besten Geschichten aus dem MDR Literaturwettbwerb, Poetenladen Verlag, 2013.

Laudatio

Tabea Xenia Magyar für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2014

Anja Kampmanns Texte erreichen mit reduzierten Mitteln starke Momente. Mit wenigen Worten – Sommer, Ferne, ein einzelnes Riesenrad – gelingt es ihr, ein Gefühl für die Situation heraufzubeschwören. Über weite Strecken begegnen wir so einem Reichtum an Wie-Vergleichen, Metaphern, poetische Bildern und originellen Setzungen, wie jenem der „Muster, die ein Schwarm Saatkrähen / an den Himmel wirft“ oder den „Gondeln ... / Setzkästen mit getrockneten Faltern“. Manchmal treffen wir jedoch auch auf eine einfachere, direktere und deskriptivere Sprache, wie in dem bezeichnenden Vers: „So ist auch die Nacht / nämlich das Aufsteigen / einer ungefähren Sprache / Kondenswasser“. Immer wieder werden die so entstehenden Bilder durch Wiederholung und Überlagerung geschickt ineinandergeschoben, auch wenn man sich fragt, ob die Bilder vor allem wegen ihrer kraftvoller Wirkung, und weniger des inhaltlichem Gehalts wegen eingesetzt werden.

Wie in der „ungefähren Sprache“ angedeutet, werden die poetischen Bilder in den Dienst des Unbenennbaren genommen, kreisen die Texte um eine Ahnung,  haften den Dingen Spuren von etwas Anderem an; etwa in „(für I.“, wo sich das Verschwinden in Form von „Schatten an den Ästen der Zweige“ ablagert und als „konstanter Abriss“ zurückbleibt.

Überhaupt zieht sich ein Hauch von Melancholie durch die Texte, werden Erinnerung und Vergessen, Tag und Nacht, Nähe und Ferne durchbuchstabiert, und auch Andeutungen von Zwischenmenschlichem lassen sich finden. Aber obschon sogar der arme alte Herbst bemüht wird, sind die Gedichte nie erdrückend, tragen die Texte die ihnen eigene Romantik eben „Leichthin“. So sind auch die Ich-Du-Er etc. Beziehungen eingewobene Geschichten, die „nicht mehr“ und „nicht weniger / nur der Malstrich der Kreide“ der Gedichte sind, über denen „das Pfeifen / des Windes“ weht.

Für die gelungene Balance zwischen poetisierender und unmittelbar beschreibender Sprache und den mithilfe von klug gesetzten syntaktischen Wiederholungen ineinandergreifenden Bildfeldern, sowie ihrer Fähigkeit, im Handumdrehen stark atmosphärisch aufgeladene Situationen herzustellen, denen dennoch eine wohltuende Leichtigkeit innewohnt, verleihen wir Anja Kampmann den 2. Feldkircher Lyrikpreis. Herzlichen Glückwunsch!

Gedichte

Dünen

Du sagst, ich habe mich zu weit
zurückgezogen: aber erst hier beginnen
die Küsten rollt das Land
seinen Namen
unwiederholbar.

Die Balance hat nichts
mit einem entfernteren
Innen
zu tun: nur wie du dich abstößt
vom Steinsims
und in den Fugen
eine Geschichte kracht

die nicht mehr ist
nicht weniger
nur der Malstrich der Kreide

eine Mauer
verspricht ein Schild
zu tragen du versprichst
ein Schild zu beschriften                     

darüber das Pfeifen
des Windes.

(für I.)

Er ist im letzten Jahr gegangen
in den Tagen danach
sahst du manchmal Schatten an den Ästen der Zweige
und das Meer
spülte Walfischknochen an, deren geheime Mitte
er suchte
Ein konstanter Abriss wie das Schwarz als Teil
des heller gestrichelten Asphalts oder
sagen wir Steine, kleinere Tänzer
unentwirrbar
das Mosaik der Zeit oder
sagen wir Muster, die ein Schwarm Saatkrähen
an den Himmel wirft
sagen wir November und schwächeres Licht
oder sagen wir Atemflocken und Erinnern
ein ewiges Rückwärtsgehen
wie der Chinese im Park von Paris
sagen wir an den Häusern der Wein
die Spatzen, ihre Schwingen, die Anatomie einer Handschwinge
an einem Frühherbsttag die Mitte
von jedem Geräusch
das durch uns durchgeht.

Leichthin
ist der Sommer
Ferne schreibt
die Buchstaben deines Gedächtnisses
mit leichter Hand
Während ein einzelnes Riesenrad
Gondel um Gondel
in die Luft steigen lässt

So ist auch die Nacht
nämlich das Aufsteigen
einer ungefähren Sprache

Kondenswasser

und so sind die Tage
nämlich ähnlicher dem Vergessen
dem Abwenden des Blicks wenn
der frühe Abend die Kleider durchdringt

die Übergänge ins Vorhin
dem du ähnlicher
wirst. Abtreiben auf diesem alten Dampfer in Richtung Atlantik, Cuba
So sind Tage
leichthin -
fallen die Gondeln
fallen wie jeder Schritt
Setzkästen mit getrockneten Faltern
                eine Sammlung
die wie ein Schnalzen in der Dunkelheit verklingt.

Adam

Eine Welt die ein Fallen ist
die ihr eigenes Fallen ist ein Glühen
mit langen müden Abenden rauhen Händen
der Ausdauer eines Mannes der umgeben
von Laugen Chemikalien Geröll schürft
schürft und wäscht und bleicht
sie aus der deutlich gehäuften Lithosphäre
Steinhülle eines  Atems
frühmorgens hinter einer Tankstelle traf
Adam ein Mädchen im Gebüsch
das ihn rührte
und sie spülen spülen
die Seufzer aus dem Erdreich
die Tiefe aus der Tiefe
den verwilderten Fleck in dem die Tage grasten
Felder aus Versprechen aus Ohnmacht
spülen. verlassen sind die Weiden hier
die aufgebrochenen aufgesprengten
helleren Steine. es ist
eine Apfelernte Apfelernte
ein Apfel
mit rauhen Händen
fährt die Schächte hinab die Schächte
das Leuchten der Stirnlampen
das Leuchten der Früchte
der hellen Früchte
im angehaltenen Atem
nur die Laugen Geröll und dann
stehn da
die Obstgehölze in all
dem ausgeräumten Land.

sein fliegen liegt nicht in der anatomie
zwischen federn und leichteren knochen
ahnst du einen punkt an dem die pappel
den himmel berührt was sind schwalben
einen sommertag lang auf dem hügel beg tal
der unruhige weizen wiesenblühn zwischen
den halmen dein sitz aus hörbarem wind
es ist tag ich behalte die nacht inne würde
nie mehr vergessen als jetzt wird es
einen tag geben an dem dieses rauschen
der bäume fehlte ach vogel der in seinem rad
rätsel geschrieben hat vom land genommen
unerkannt liegt es vor dir flächen noch ein paar
pflanzen und ich als grenze träume
dass ich die wiesen nicht mehr
unterscheiden kann