Christine Haidegger, Foto: Andreas Hauch

Christine Haidegger, 1942 in Dortmund geboren, nach der Matura Aufenthalte in England, Frankreich und Italien. Seit 1964 freiberufliche Schriftstellerin in Salzburg. 1974 Gründungsmitglied der Autorengruppe “projekt-IL” und von 1975-81 Herausgeberin der gleichnamigen Literaturzeitschrift. 1991 “Writer in Residence” in Virginia. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise. Viele ihrer Texte, vor allem Lyrik, wurden in andere Sprachen übersetzt.

Laudatio

Christine Haidegger verknüpft Privates mit allgemein Relevantem. „Mein Wald” wird zum Ort der Geborgenheit für alle und „die sirrende Harfe” der Sanduhr umarmt dich, Mensch. Die Gedichte sind somit auch eine Suche nach Zufluchtsorten, die jedoch immer wieder eingeholt werden vom Dunklen, das mit-schwingt, wohin man sich auch wendet. Auch „helle Laken” werfen Schatten. Die scheinbare Idylle wird gebrochen durch Ahnungen von Verlust und Vergänglichkeit. Alltägliche Momentaufnahmen werden zu Trägern großer Themen wie Krieg, Liebe oder Ewigkeit. Unpathetisch und schlicht sind sie in zarten genau beobachteten Bildern behutsam festgehalten. Der Leserin ist nichts fremd. Sie findet sich wieder, und ihr Blick wird gelenkt weg von sich selbst zum Universellen.

Die Lektüre überlässt uns einem schwebenden Zustand zwischen Hoffnung und Melancholie. Die Jury gratuliert Christine Haidegger zum 2.Platz des diesjährigen Feldkircher Lyrikpreises.

Gedichte

Die Sprache

mein Wald
den ich aufforste
- mit den alten Wörtern aber
Mit den Namen der Bergseen
der Hänge
der Blüten
aus dem Talschluss
am Ende der Wege
wo es noch sieben Wünsche gibt
für einen flüchtigen Vogel
dem Grenzen nichts gelten und Kriege
Die Großmütter
binden das Kopftuch
und nicken ihm zu
in all ihren Sprache

Die Kinder

bauen sich Häuser aus Stoff
unter den Tischen
Manchmal
sind helle Laken
der Himmel
und alles Verwunschene
wirft seine Schatten darunter
Der Vater
steht in der Tür
die Hand dicht über dem Herzen
die Hand dicht über dem Mund
Herzschlag
und Atem
überwältigt von Liebe

In der Mondschlucht der Berge

schärft der August
die Schatten
über dem Karsee
Herb
der alte Geruch
nach Farnen
und Tausendgüldenkraut
Ammoniten schlafen im Stein
über den Wasser fließt
flirrend wie Katzengold
Sonst ist die Nacht
sternstill
über den schlafenden Vögeln

Gott gab die Zeit

Und er gab viel davon
Die Spur der Karawane
verliert sich über den Dünen
im frühen Nachmittag
Mauve, beige, mauve
wellt sich der Teppich aus Sand
den eine Nomadin irgendwo
nachwebt
in dem Kristallschweigen der Wüste
Nachts wirst du erwachen
zum Dröhnen des sternlosen Himmels
unter dem blassblauen Mondhorn
umarmt dich
die sirrende Harfe des Sands

Dorfvergangenheit

Quellenleise
läuft das Kind
morgens durchs taunasse Gras
die Mutter am Fenster
lächelt
Zögernd
kehrt der Mann
unter den Bäumen
am Abend zurück aus der Stadt
Noch
lächelt die Frau
Ein singendes Bataillon
marschiert
zum Horizont
Das Kind in der Wiese
Der Mann unter den Bäumen
Die Frau am Fenster
haben die blonden Lieder
kein Jahr
überlebt