Hartwig Mauritz

Hartwig Mauritz, 1964 in Eckernförde geboren, Studium der Elektrotechnik in Braunschweig, lebt in Vaals/NL und arbeitet als Lehrer für technische Fächer am Berufskolleg Alsdorf. Beiträge in Zeitschriften (außer. dem, Der Dreischneuß, Dulzinea, Federwelt, Faltblatt, Krautgarten, macondo, Muschelhaufen, Ostragehege, Poet, [SIC], Signum, Torso, Zeichen und Wunder) und Anthologien u.a. Jahrbuch der Lyrik 2011, Deutsche Verlags-Anstalt, München, Hrsg.: Christoph Buchwald und Kathrin Schmidt und Jahrbuch der Lyrik 2013, Deutsche VerlagsAnstalt, München, Hrsg.: Christoph Buchwald und Jan Wagner; stadt land fluss, Lilienfeld Verlag Düsseldorf 2014, HRSG: Jürgen Nendza, Hajo Steinert. Dresdner Lyrikpreis 2012 und 2. Preis der Floriana 2014. Übersetzungen von Gedichten ins Niederländische, Tschechische und Arabische. Einzeltitel: „Echogramme“ im Marien-Blatt Verlag, Lübeck 2004, Herausgeberin Regine Mönkemeier und „biotope“ in der Lyrikedition 2000, München 2008, Herausgeber Norbert Hummelt; zuletzt „rumor der frösche auf den dünnen flächen der physik“ Lyrikedition 2000, München 2012; Hrsg Florian Voß. „wälder kommen auf uns zu“ Rimbaud-Verlag, Aachen 2017, Hrsg Bernhard Albers.

Laudatio

Marie-Rose Rodewald-Cerha für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2016

Poesie ist doch, Dinge zu entdecken, die so, auf diese Weise noch nie gesagt worden sind, sich also der Alltagssprache entziehen. Das finden wir in den Gedichten von Hartwig Mauritz: Die ungewöhnlichen Wortverbindungen schaffen Bilder und wirken über die Sprache hinaus. Sie kommen leise daher und wirken im Moment, versetzen die Leser in nachvollziehbare, vielleicht bekannte Stimmungen und entlassen ihn wieder mit sanfter Hand. Melancholie ist Begleiter auf dem Weg in die Vergangenheit. Der Vater verbrennt die Reminiszenzen. Die Erinnerung an harte Zeiten mit „steifen Brisen“ und „zäher Kälte“ wird verschwiegen. Nachts lässt sie einen schlaflos und führt „in den Höhlengrund“. Die Aufarbeitung will nicht gelingen. Der Autor jedoch „erforscht den Buchstabenbestand“ der väterlichen Bibliothek, da er „Quellcode seiner Sprache“ ist. Im 4. Gedicht ein verlassenes Haus als Sinnbild für Sterben und Vergehen – was bleibt, ist im Keller ein „Einmachglas“.

Polaritäten wie Licht und Dunkel, Kälte und Wärme wiegen schwer in einem Menschenleben – und die Enkel haben nichts gelernt und fügen „sich gegenseitig Wunden zu“. Mag sein, dass es sich um ganz persönliche Gedichte handelt, dennoch ist den Lesern das Geschehen vertraut und lässt sie versinken in die eigenen Erinnerungen mit der Ahnung: Das war, das ist das Leben.

Das hat die Jury überzeugt und wir gratulieren Hartwig Mauritz ganz herzlich zum 2.Platz beim Feldkircher Lyrikpreis.

Gedichte

die straße wirft deinen schatten voraus

I

angeschirrt an deinen acker tante marta. losziehen bis das pferd verendet
bis die eisluft deinen atem holt. dein gedächtnis wirft steife brisen

auf das feld. wetter furchen deine haut. zähe kälte zieht am kragen
deinen ahnenpass tritt ein soldatenstiefel. der gleiche graue nordwind läuft

in januartagen dir entgegen. der letzte farbsatz deiner haut auf dem foto
steht dein gespann vor dem weißgetünchten haus. tannenhecken und du

mit deinem hut auf dem kutschbock fährst seit an seit mit dem onkel
der die zügel hält. deine kinder, die im kindbett blieben. du hast

vom dichten licht geschwiegen, hast das alte, kalte land durchfahren
in deiner stirn die gegengeister dieser landschaft werfen gleichsam samen aus

streu sie in den sand, wie gedanken an die memel. sie liegt in deiner stimme
wie im nebel kaum erwacht, steht dein fuhrwerk still. das pferd ist ausgeschirrt

lass uns deinen garten neu begraben, deinen schatten pflügen. weiden hocken
jetzt im schnee.

 

die straße wirft deinen schatten voraus

II

vater verbrannte seine bilder im kartoffelfeuer, in deren asche er stocherte
manchmal verbrannte er auch sich. erforsche ich den buchstabenbestand
seiner bibliothek - quellcode meiner sprache- hebe ich vater und mutter

aus ihren knochen. das wetter hatte sie zu früh zu sich genommen
vor dem ersten frost vermisst mein auge ihr weiß. der osten war
das abbruchunternehmen heimat, häuser aus der landschaft genommen

lichtspiele schwarzer räume. der westen das totholz, das violett
am horizont steht, strebt nach der stille mit dem vater verbunden
die wärme wurde anderen übergeben. und vater briet kartoffeln

im feuer einer schale stocherte er in der asche wie in einer karte
welche farbe hebt das licht vor sein gebeugtes auge. die frucht
die aus den kindern herauswuchs, fügt sich gegenseitig wunden zu.

die straße wirft deinen schatten voraus

III

nicht licht, nicht rauch, dein begleiter kalter nächte
raschelt luft und laub. wie sich die nacht bewegt im wald

führt dich eine linie sterne in den höhlengrund
dein schlaf wacht über deine augen. nichts bleibt dir

verborgen pfoten spuren auf dem pfad unter deiner haut
pocht blut. lippen zittern. die blaue stunde klebt

an deinen wimpern. der schall der tiere schleicht
zur jagd, das mondlicht rast über gräsern folgt der speer

der krümmung deines schädels. birkenrinde, stein, gehölz
deine flache hand reibt sich am licht.

die straße wirft deinen schatten voraus

IV

letztlich verstummt das haus im abblendlicht des fahrzeugs
überm kiesweg ist das dach noch rauch. das fenster offen
für den geruch, der sich dem windzug anschließt. ein jahr im garten

unter mustern lautlosen laubs. das erste mal, dass nichts geschieht
nur krähennester über essensresten. die letzte frucht fault
auf dem komposthaufen der inhalt des gefrierfachs schnabelkost

baumkronen flügelschlag presst gefieder an den wind. die tageszeit
zieht das tier aus der luft. ohne wiederkehr und kalt vom winter
sind die körper gewandelt in nachlass. der wald wächst

ums haus. wo die milch stand, huscht eine katze, stelle ich dich
den schatten vor. im bilderrahmen staubgesicht, der keller einmachglas
ein spinnweb dem holzpferd ums bein. ein feld mäuse jagt das letzte licht.

die straße wirft deinen schatten voraus

V

tiptop imhotep glattrasiert die schädeldecke aufgebrochen. gerinnsel
blut die schale hirn mit saft narkotisiert der patient baumeister
von pyramiden um zu schauen den raum des eigenen blutes

mitglied der elite iri pad hut ab. die krone, darunter zu finden gesichter
haut, geschlossene lider. der tod ein mückenstich, ein kupfermesser
schnitt: cheops, chefren, chedefre´. um den nil nur sand

und heiße landschaft. der abbau von steinen verspeist das vieh der götter
ein intakter körper für den wiedergänger . die stimme bandagiert. schnitt
biotop imhotep. du legst den meißel an die schale. wie sie bricht.