Lars Arvid Brischke, geboren 1972 in Dresden, lebt in Berlin. Studium der Energietechnik an der TU Berlin. 1997 Mitbegründer der Lyrikgruppe „Die Freuden des jungen Konverters“. 2000 und 2004 Finalist beim Open Mike der Literaturwerk­statt Berlin. 2014 lauter niemand Preis für poli­tische Lyrik. Einzelveröffentlichung: eine leichte acht. Lyrikedition 2000, Allitera Verlag, München 2006. Gemeinsam mit Rainer Stolz: flügelzeug. Laut-, Listen- und Raubgedichte. CD & Booklet. edition rast, Berlin 2015. Zahlreiche Veröffentli­chungen in Anthologien und Zeitschriften.

Laudatio

Andreas Schumann für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2019

Preiswert, aber nicht billig

Zu Lars-Arvid Brischkes Lyrik anlässlich des Feldkircher Lyrikpreises 2019
Irgendwann im Juni 2019… Das nächste Konvolut an Gedichten für den Feldkircher Lyrikpreis steht zur Lektüre an. Ach sieh da, als Motto von Totentanz o.p. ein Zitat von Oskar Pastior, da traut sich aber jemand was, meist sind da die Stiefel größer als die Füße, seien wir mal misstrauisch… Und dann auch noch eine Widmung an Ai Weiwei beim Text volksfahrräder… Und dann bei totentanz m.s. eine klare Wittgenstein-Reminiszenz: „woran man nicht zerbrechen kann darüber schwamm“… Und dann Verballhornungen zum Entdecken und Mitmachen: „dein ist sein starres herz“ – jetzt wird’s interessant! Und dann kommt der Leserschaft auch noch ein Vers entgegen wie „fleisch das als rollmops läuft, fällt nicht unter <gefühl>“ – dem stimme ich inhaltlich völlig zu, aber wem fallen solche Formulierungen ein?

Offensichtlich jemandem, der das höhere Sprachspiel nicht nur liebt, sondern auch beherrscht, da passt dann der Verweis auf Pastior, die Nähe zum Ouvroir de littérature potentielle, die Tradition von Assonanzen, Lautmalerei, Wortbildungsverdrehungen, Etymologisierungen, syntaktischen Irrwegen à la Raymond Queneau wirklich ausgezeichnet. Sich in diesen Vokabelakrobatien zu verlieren ist bereits ein Vergnügen an sich, hinzu tritt inhaltlich aber noch ein süffisanter Blick auf mangelnde Selbstreflexion (sysiphos variationen) oder Oberflächlichkeiten und Selbstinszenierungen (totentanz e.a.p.) – auch wer von Lyrik bedeutungsschwere Reflexion erwartet, wird hier fündig; ich freue mich (zusammen mit der Jury) eher über den Wagemut sprachlicher Labyrinthe wie in totentanz o.p.: „lautlos / derwischt er sich magisch entspannt wird er sich los / als geneigter entsinnt er sich das eigne verrinnen zu fassen“ – Verszeilen, die zum Mitmachen, zum Mitdenken, zum Mitformulieren auffordern. Mehr kann man von einem Gedicht kaum erwarten, wenn man nicht lange überlebten Erbauungskonstrukten nachhängt.

Als dann nach der Jurysitzung die Namen zu den Anonyma bekanntgegeben wurden, suchte ich Informationen – und siehe da, Lars-Arvid Brischke hatte ich nach der Lektüre von Lyrik von Jetzt (hg. von Björn Kuhligk und Jan Wagner) aus dem Jahre 2003 schon bemerkenswert gefunden, hatte in seinem Schaffen nach elternhaus, thermodynamisch bald auch elternhaus, elektrotechnisch gefunden und gerne gelesen, goutiert, beschmunzelt und nach mehrfachem Lesen auch bewundert.

Lars-Arvid Brischke, 1972 in Dresden geboren, ist im Brotberuf promovierter Spezialist für Energiesysteme und Zukunftsforschung. Ich finde das passend, denn Gedichte sind für mich Energiesysteme ganz eigener Art und sie loten die Zukunft sprachlicher Möglichkeiten aus. Darüber hinaus schätzte die Jury auch den Humor der eingereichten Texte, der bei Lars-Arvid Brischke wohl zum Lebensgefühl gehört: Wer 1997 eine Lyrikgruppe mitbegründet, die den wunderbaren Namen „Die Freuden des jungen Konverters“ gewählt hat, beweist nicht nur Intelligenz, sondern auch literaturgeschichtliche Finesse – wer kennt denn heute noch Friedrich Wilhelm Nicolais unsägliche Goethe-Adaption Die Freuden des jungen Werthers (1795)? Und das Parodistische des „Konverters“ vermag dann auch zu überzeugen – egal, ob Sie darunter wie in der Informatik den Umwandler eines Dateiformats in ein anderes verstehen wollen oder wie in der Stahlindustrie einen großen Tiegel, in dem durch Zuführung von Sauerstoff in verflüssigtem Roheisen unerwünschter Kohlenstoff herausoxidiert wird (danke wikipedia!); aber hier finden wir uns schon in neuen Gedankenspielen wieder. Denen, die sich tiefer in die gedankliche und sprachliche Welt von Lars-Arvid Brischke eingraben möchten, sei sein Gedichtband empfohlen: eine leichte acht. München: Allitera Verlag 2006.

Wir gratulieren jedenfalls zu einer Lyrik, die wirklich preis-wert ist; billig ist sie nicht zu haben, sie fordert einiges an intellektuellen Investitionen ein, die allerdings hohe Zinsen durch literarischen Genuss einbringen. Wir hoffen auf viele neue Beiträge.

Gedichte

totentanz o.p.

Wir schreiben Schritte, die wir eh schon lesen können, Leseschritte, weil wir Lesepausen hören,
die wir eh schon mit den Beinen schreiben.  
                 

Oskar Pastior

er lässt es so lässig es geht los
das lasso das wir unterm sofa
platzieren um ihn zu fassen
ihn mit lästigen buchmessern uns
launen- & lasterhafte karottentotten passieren  
zu lassen zu lasten der rosa karos

liest er sich ein ins chaos der karos
um in den schreibsand zu kommen geht´s los
so kann´s beim hereinspazieren passieren
oder mit wachweichen tritten gegen das sofa
& mit pastösen narkotika christian diors um uns
weil wir atempausen nicht hören, zu fassen

wir passen ja doch nicht, passen auf - nicht zu fassen
ist er in hochkarätigen karos
& im glitzernd kleinen umkreis von uns
umringelt macht ihn sein schwelendes los schwerelos
reitet ihn eine wachsende schwäche kleckst weich ihn ins sofa
reitet ihn rein schlittert er witternd wem kann wohl sowas passieren

ohne passwörterbuch die passionierten hochmassive zu passieren
auf den maserungen der motive die sich im stich gelassen zusammenfassen
zu schaffensphasen & -perioden die nicht ganz ohne sind unterm sofa
geschriebene schritte auszulesen aus rostig-rosigen karos
& das bloße erschlaffen das ihn schlaflos
macht & eine nahtlosigkeit zwischen uns

bringt ihn uns beinahe allzunah in der nadelung an uns
lässt er sein adios an unseren radios revue passieren
stoffe aus denen wer mut hat gemacht wird leicht gewichtslos
eine geheime testamenten-testversion zu verfassen
in einer art moossphäre pasteurisierter organischer karos
muss keiner von uns ein aber mehr glauben dem sofa

dessen sog sogar uns hinterm sofa
hervorlockt uns
als kosmoszillierende karos
in denen pausen passieren
doloreszierende hände zum anfassen
lautlos

derwischt er sich magisch entspannt wird er sich los
als geneigter entsinnt er sich das eigne verrinnen zu fassen
der tragik so komisch zu entweichen entspinnt er sich über sein sofa.

sisyphos variationen

wie versteinert dein arbeitendes gesicht - ist das noch deines?
abgearbeitet am stein (dein ist sein starres herz)

wer nur bringt dich auf den weg zu dir? ein riesen-
steinchen machts dir klar, zeigt dir, wohin dich das führt

gehts noch ums ganze so gehts dir doch wieder nur um das eine
kommen zu sehen was geht: wer nimmt dich ganz & gar wahr?

steinig erscheint dir & kaum zu schaffen der weg nach oben  
kommst du zu dir um zu sein: stein gewordenes selbst

bild dir nicht ein der stein sei dein – ein freund fürs leben
so zueinander findet ihr nicht. auch & erst recht nicht: on top

angekommen sich an- & auf genommen zu fühlen
siehst du was dir da droht: oben zu sein ab sofort

steht ihr auge in auge vor glück am ziel bis aufs messer
lauert einander auf: wer wirft wohl wen hinab?

ganz von selbst im bewusstsein der schwere & kraft deines schnöden
antriebs entzückend liegst du: richtig & ziemlich entrückt

fleisch gewordener stein & das zu stein gewordene
fleisch das als rollmops läuft, fällt nicht unter “gefühl”

weg ist es das ziel sich mit absicht verloren gehen zu lassen
kaum zu fassen ist das krankhaft ein trick oder was

wird’s dich genauso zum stillstand bringen wie dein konsumieren
glorreiche ankunft verheißt: leblos wirst du von selbst.

totentanz e.a.p.

graceland sommer 77. einer dieser aufgeschäumten
burger kings, in getriebeöl fritiert & eingebettet
in die handschuhfächer fetter cadillacs, verschmilzt
mit den untersten & zähen schichten dieser schnulzen
bei denen kotflügel um autogramme betteln. irgendwer
hat den parfümvergaser ordentlich frisiert. am ausschank
gibts die überdosis schmalztabletten, die das becken dann
verstopft. zu spät die ärzte mit dem gleitgel diesmal bleibt
der einlauf stecken in fötaler stellung - bis zum herzversagen.

volksfahrräder

für ai weiwei

ein klettergerüst zusammengeschweißt
aus ausgebufften rahmen: luxusgüter
sind wir unbrauchbar gemacht
für die ewigkeit fixiert aufs kreuz
gegelt gehen wir durch die decke bis
zum äußersten verlötet verkuppelt drapiert
um eine gähnende menschenleere
wiederkehr forever forever wem ehre blüht
auf distanz gehalten & funkelneu: wir
als glänzend legierte fragmente verschraubt
mit unseren zeitgenossen & wie geschaffen
wir affen auf dem besten weg zu einem
konstrukt werden wir teil der akrobaten-
nummer ohne netz unnütz miteinander
verflochten am markt (die masse machts
zum spaß) solange herr kapitalismus lacht
& auf uns pocht, wohl wissend wie er seinen hammer
zu hängen hat: harmlos genug, um brandgefährlich
zu werden ein menschen- & mengengerüst
das anwächst sich auswächst & höher uns schraubt
& bestäubt & betäubt & beraubt & uns taumeln
macht zwischen kosmetik & kosmos sich entpuppt
als beweis dass des einen vorderrad
dem nächsten als rückgrat
dient.

totentanz m.s.

woran man nicht zerbrechen kann darüber schwamm
er kroch durch abendalk biss in den flaschenhals der nacht
in der sich fahnen wälzten stehend übern dingen tauchte er
da durch aus wieder auf & ab in dieser brühe leute wird man ihn
nicht missen müssen reden antwortstehen bleiben wo er sich erbrach
an dieser kante die sich alle gaben gaben sie sich auf um umso mehr
dann auf ihn einzuspringen die humpane lallend stülpten sie ihr unwesen
nach außen diese leere abzustottern hatte er die ungeschehnisse
in ihrer wiederkehr mit einem mal zum feind der spottete in ihm
vor jeder überschreibung ist er eingeknickt im ungeschick seines
betretenen genicks am bordstein schwieg er schwei gegegen was
du bist & beißt für dich für uns in diesen bordstein über bordend bist du
unsere verfrachtung: friss granit du (unser) grenzenloses schwein & krieg
dich wieder ein wir kannten dich doch kaum dann doch ganz gut kaum
kannten wir dich gut genug so kannten wir dich nur zu gut nur zu nur so
kanten wir dich hiermit ab & geben uns den borderstein-kick
verscharren dich & dein vernarbtes nackenstück:
wovon hier niemand sprechen will
dem kann man sich versch-
weigern.