Lisa Mayer, Foto: Dmitry Kuzmin

Lisa Mayer, 1954 in Nassereith in Tirol geboren, Diplomlogopädin, 6 Kinder. Lyrik und Kurzprosa. Teilnahme an verschiedenen Lyrikbiennalen. Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitungen, 1999 erster Lyrikband. 1998 Salzburger Landeslyrikpreis. Übersetzungen ins Arabische, Französische, Spanische und Russische.

Laudatio

Die eigene Empfindung wird mittels zarter poetischer Bilder transparent. Die einzelnen Bilder fügen sich zu einer Bild-Erzählung. Eine Liebesgeschichte und eine Landschaftsgeschichte werden miteinander verschränkt.

Gedichte

BALKON DER SONNE 1

Ich finde keinen Schlaf in den Dingen
und kein Erwachen
fliege langsam wie eine Taube
von Halmen fremder Gärten auf
Meine Stimme streift nachts
durch die Stadt auf der Suche nach mir
Am Morgen vielleicht
komm ich an
auf dem Balkon der Sonne
Wo sie mir
mit goldener Schere
die Schatten
vom Leib schneidet
mich hinüber schüttet
von meinem Gefäß
in das ihre
Dass ich Lieder lerne
von unterirdischen Flüssen
die Wiederholung
des Namenlosen

AM MORGEN 2

legt mir die Sonne
ein feines Gebet aus Knochen
auf ihren Balkon
ein zartes Rückgrat
meine Spur
Rippen beherbergen lose
ein Schweben
kein Luftzug kein Schritt
nur das leise Spulen der
Töne, das Wachsen der Fäden
der ersten der zweiten Nacktheit

AM MORGEN 5

malt mir die Sonne
ein Paradies
auf die Haut
ich betrete es ohne Scheu
durch die Apfeltür
Gebe Adam die dreizehnte Rippe
zurück, der Welt
das leer gelebte Kleid
Abends
wartet der Himmel
in mir
auf seine Erschaffung

AM MORGEN 7

legt mir die Sonne
einen Stab auf die Schulter
und mir entspringt eine Quelle
Ihr Wasser fließt
in sieben neue Richtungen
zugleich
Das Herz der Bäume
zittert auf den Wasserspiegeln
Zwei Gezeiten
haben eine Mutter
in den Firmamenten
Durch mein Leben
führt ein Handelsweg
für Wasserkarawanen
Meine Kinder
waten gegen den Strom

AM MORGEN 8

ziehst du mich
wie eine Herde den Berg hinauf
Die zwei Hälften der Welt
liegen in stiller Umarmung
da ich das Wort mehr liebte
als die Stadt die es schuf
Die weißen Schatten der Häuser
folgen uns
in einiger Entfernung
als wären wir
Liebende des Anfangs
Du pflanzt mir
Nüsse und Maulbeerblätter
in den Leib Ein Veilchen
Ich geh
auf den Markt
verkaufe dein Licht
in Büscheln in Sträußen