Sandra Hubinger, Foto: Gabriela Hecher

Sandra Hubinger, 1974 geboren und aufgewachsen in Oberösterreich. Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Salzburg und der University of Manchester. Anschließend Lehrtätigkeit in Frankreich (Akademie Rennes). Danach viele Jahre tätig als Deutsch-Lektorin und Deutschtrainerin an Universitäts- und Weiterbildungsinstituten und in sozialen Einrichtungen.

Veröffentlichung von Lyrik in Kaskaden, die Lyrikzeitschrift und im Augustin.
Verfasste drei Kurztheaterstücke, die bei Kurztheaterfestivals im Künstlerhaus Salzburg und im Ragnarhof Wien 2013 aufgeführt wurden. Führte auch selbst Regie bei den Stücken.

Derzeit Beginn des Studiums Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien 2013/2014.
Schreibt Lyrik, Prosa und Theatertexte. Lebt und arbeitet seit 2004 in Wien.

Laudatio

Gerhard Fuchs für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2013

„Ich stimme“ lautet der letzte Vers von Sandra Hubingers „Einfache Melodien“ und es ist eine aktive Tonlagenveränderung eines ganz besonderen Instruments, jenes des „warmen Posaunensounds deiner Stimme“, in das sich ein lyrisches Ich einhört, das sich passiv nach dem Zustandekommen einer Überein-Stimmung in seiner voraussetzungslosen Richtigkeit bestätigt. Nach dem Einstimmen ein Übereinstimmen mit einer Selbstbestätigung, die als Selbstvergewisserung auftritt.

Situationen und Stimmungen werden von der Autorin mit scheinbar einfachen sprachlichen Mitteln skizziert: nüchterne Beschreibungssätze mit eingebauten poetischen Verfremdungen, die aus kleinen Bedeutungsverschiebungen resultieren, Einzelheiten, die in einem Tableau stillebenartig arrangiert werden, schlichte Beobachtungen, die eine spezifische Atmosphäre charakterisieren: eine Regennacht auf einer Eisenbahnbrücke, eine Urlaubsidylle auf einem Ostsee-Inselchen, einen Abschied auf einem Parkplatz. Und immer ein Sich-in-Bezug-Setzen, zu einem Ansprechpartner, der nicht eine Abspaltung des lyrischen Sprechens ist. Sandra Hubingers Aufmerksamkeitsradar richtet sich auf ein Gegenüber, dieses „Ich“ sucht den Kontakt, der im Idealfall die Begrenzung des Eigenen überschreitet, sich öffnet , einfühlt in die Stimme des Anderen, sich bei ihm ausruhen möchte, vermittelt stets über die Aufzeichnung von Sinnenseindrücken des Sehens/Sprechens/Hörens, niemals als gefühlsselige Beschwörung von Rauschzuständen. Auch die Entfernung wird in kühlen Notaten zur Kenntnis genommen und beschrieben, der wachsende Abstand im Gedicht „Abschied“ entzaubert die Geste der Verbindlichkeit: „zwischen uns wuchs / die Asphaltschlange mit / jedem Schritt rückwärts / gewann ich eine Kopflänge / so fiel deine Kusshand / auf mein Knie.“

Das Ausruhen bleibt in Hubingers Texten Versprechung, das Zueinander-Kommen kommt erst, wird vor seinem Zustande-Kommen beschrieben. Unsicher ist, ob sich das Freiheitsbedürfnis nach Leichtigkeit, Unabhängigkeit, verantwortungsloser Gegenwärtigkeit in Einklang bringen lässt mit der versprochenen Sicherheit; die Lockrufe eines die Neugier befeuernden „Du“ sind jedenfalls deutlich vernehmbar. Der Abstand bleibt allerdings gewahrt, die Hand schafft keine Verbindung der beiden Körper, sie sperrt auf, sortiert, schreibt, bleibt gar eine Kusshand, die aus der Distanz ihre Adressatin verfehlt.
Sandra Hubinger unterstreicht auf der semantischen Ebene noch einmal die Tendenz von Lyrik, die Illusion einer von der Sprache unabhängigen Handlung zu zerstören, wobei der Reiz dieser Desillusionierungsliteratur gerade darin liegt, dass nicht ein Popanz des auratisch Besonderen errichtet wird, der dann beifallsheischend mithilfe eines außergewöhnlichen poetisches Arsenals zerschlagen werden muss, sondern dass sich die Mechanik von Illusionierung/Desillusionierung in Form unprätentiöser Bildkompositionen sprachlich realisiert. Für dieses poetische Vermögen ist der Preisträgerin höchste Anerkennung auszusprechen.

Gedichte

Einfache Melodien

Während ich hinhöre wo ich hingehöre
Zittert der fremde Schlüsselbund in meiner Hand
Der warme Posaunensound deiner Stimme
Komponiert den Verlauf des Abends
Vertrauen ist kein Geburtsrecht
Ich höre mich neu ein
Ich stimme.

Aprilnacht

Auf der Eisenbahnbrücke
um zwei Uhr morgens
unter der langstieligen Laterne
das Ineinander und Auseinander
der Gleise und den Regen
des Tages in unseren Kleidern
stehen wir vor einem Hang
der in den Schwarzhimmel führt
An diesem Punkt zerfällt unser
Reden zu Wasser mündet
in neue weiche Sprache.

In den Schären

Wir sitzen auf grob gezimmerten Bänken
Der Wind trägt die Salzluft zur holzgrauen Hütte
Ein blonder Geschwisterreigen zieht vorbei
Würfelt sich durchs hohe Gras hinunter zum Strand
Wir hören die Sprünge vom Landungssteg
In die kalte Baltische See
Mittags das Signalhorn der Fähre vom Festland
Du pfeifst mit blauen Zähnen
Sortierst deine losen Blätter
Beschwerst sie mit dem Kartoffelmesser
Ich trenne Blaubeeren von Preiselbeeren
Und schreibe in mein Heft:
Der heutige Tag: primär zyanblau.
Zu Gast

Ich lande bei dir
mit leichten Füßen
laufe mit der Bachstelze
über die nasse Wiese

die Weiden am Ufer
trocknen ihr Haar und
der Fluss versteckt
bunte Scherben
in seinem Bett

Federn wollen
dem Wind gehorchen
aber du sagst bleib
ruh dich aus bei mir.

Abschied

Als du weggingst
stand die Sonne im Westen
wolkenfrei war der Himmel
ein glitzerndes Blechmeer
am Besucherparkplatz
und die Kirchturmspitze
hinter den Fichten
als ich dir über
die Schulter schaute
ich verstand deine Worte nicht
verbarg meine kalten Hände
in Manteltaschen
zwischen uns wuchs
die Asphaltschlange mit
jedem Schritt rückwärts
gewann ich eine Kopflänge
so fiel deine Kusshand
auf mein Knie.