Sascha Kokot, geboren 1982 in der Altmark, lebt als freier Autor und Fotograf in Leipzig.
Lehre als Informatiker, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er erhielt verschiedene Stipendien und Preise, veröffentlichte in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften.

2013 erschien sein Debütband »Rodung« im Verlag edition AZUR, wo 2017 auch sein zweiter Lyrikband »Ferner« herausgekommen ist.

Bibliographie:
"Ferner", edition AZUR, Dresden 2017, ISBN: 978-3-942375-29-0
"Rodung", edition AZUR, Dresden 2013, ISBN: 978-3-942375-07-8

Laudatio

Sascha Kokot konnte das Publikum im Online-Voting wie in der Abstimmung vor Ort von seiner wunderbaren Lyrik überzeigen. Somit erhält er den Publikumspreis des Feldkircher Lyrikpreis 2022 zugesprochen. Herzliche Gratulation!

Video

Gedichte

seit Monaten hängen wir nun hier
drei Stockwerke hoch über der Stadt
vorn warten wir darauf dass der Herbst
die Bäume stutzt die Tram freilegt
seine satten Farben aufträgt
im Hinterhof bewundern wir
neuerdings die kleine Sonne
eingerollt zwischen Horizont und Kran
überwintert sie zu unseren Füßen
am Morgen ist sie deine Tochter
und gleicht dir aufs Haar
meine Dohle wärmt sich an ihr
zieht ihren Schatten übers Rabet
vermisst unsere Zeit am Kirchturm neu
sammelt zusammen was wir brauchen
um uns am Berg ein Nest zu bauen

 

nur alle paar Jahre
schickt mir ein Schlot
seine Grüße vorbei
so wie heute an diesem
ausgelöschten Tag
schweben sie im diffusen
Licht auf Augenhöhe
mit einer verirrten Elster
darin und irgendwo
weiter hinten verstellt
ein Kirchturm den Horizont
das weiß ich ganz sicher
nur die seltene Botschaft
bleibt mir verschlossen
fragil und fremd ist sie
schon fort will ich sie greifen
es hängen nur Tropfen
an den kahlen Bäumen
als Traueranzeige
für dieses Jahr

als du Ruhe gefunden hast
unter den kahlen Buchen
haben wir dein Heim sortiert
dein Leben gesichtet
lose in Kisten verpackt
und die gesammelte Kindheit
von den Wänden genommen
deine Lektüre und Andenken
unter uns aufgeteilt
die schweren Möbel verschenkt
Herr Schwarz kannte immer einen
der noch ärmer dran ist
zuletzt haben wir vor der Tür
das Messingschild abgeschraubt
und auf die Leere vor uns geblickt
hinter allem das unverrückbar stand
für dich für Jahre
liegt nun der Belichtungsschatten
deines Rückzugs gelbbraun aus

auf halber Strecke zum Bahnhof
liegen die Häuser begraben
ihre gepflasterten Umrisse stehen leer
zuvor verschwand schon das Kino
ein dunkler Saal mit Cola-Aroma
und vier mutierten Schildkröten
kurz darauf fehlte das Krankenhaus
der Kreißsaal schwebt noch immer
sieben Meter über dem Boden
in den alljährlichen Erzählungen
auch die Schule steht nur noch halb
fort ist das Alphabet und die
Altstoffsammlungen für die Bruderländer
meine Orte in dieser Stadt verwittern
mit jedem Jahr mehr bleiben mir nur
die Erinnerungen trügerisch und blass

einst war ich Spediteur
nur ein einziges Möbelstück
fuhr ich durchs halbe Land
anfangs blitzte es noch
doch schon hinterm Pott
wankte die Sonne durch den Winter
ich stieg schnell auf
und es blühte der Frost
an den nackten Bäumen
bei einer Rast
brach mir der Nebel das Herz
mit einem alten Mann
wie er im betonierten Nirgendwo
unseren Müll durchstöbert
zerschossen und ganz klein
ich wünschte
ich hätte ihm mehr gegeben
und während der Tempomat
seine Arbeit verrichtet
frage ich mich woher er kam
wohin er gegangen ist
am Ende überquerte ich
eine gesperrte Brücke
kreuzte durch die abendliche Stadt
und zirkelte das gute Stück in dein Zimmer
hier steht nun die kostbare Fracht
die du in deiner Trauer gerettet hast
und uns bei jeder Mahlzeit
vor dem Vergessen bewahrt
dein und mein alter Mann