Thilo Krause

Thilo Krause, geboren 1977 in Dresden, lebt in Zürich, verheiratet, eine Tochter. Forscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Zuletzt Gedichte in: "Versnetze_zwei - Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart", Hrsg. Axel Kutsch. 2005 Heinz-Weder-Lyrikpreis (Hauptpreisträger).

2009 Werkstipendium des Kantons Zürich.

Laudatio

Andreas Neeser für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2009

Wer sich zurücknimmt, riskiert das eigene Verschwinden. Wer auf die grossen Gesten verzichtet, läuft Gefahr, sich in der Unauffälligkeit zu verlieren. Beidem setzen sich die Gedichte von Thilo Krause ebenso mutig wie konsequent aus. Die Bewegung in diesen Texten ist von traumwandlerischer Langsamkeit, ein einziges, sich fortsetzendes Verharren, die Rede stilles, unaufgeregtes Erzählen, immer nah am Schweigen. Gedichte einwärts, zurückgenommen bis zu Kenntlichkeit. Denn das ist das Aufregende an diesen Texten: dass sie von innen wirken, aus einer fast schon spektakulären Ruhe, Selbstgewissheit und Selbstverständlichkeit heraus, der jede Attitüde, jedes effektheischende Gefuchtel fremd ist.
So wird das Alltägliche, scheinbar Banale zum Ereignis, und der Blick wird frei auf das Kleine, das uns in seiner stillen Erscheinung trifft: Ein Spaziergänger etwa hebt im Gedicht «Feuersalamander» einen toten Salamander vom «sanften Scheitel der Straße» auf, trägt ihn ein Stück weit auf dem Weg. Mehr ist da nicht. Wie viel aber das ist, zeigt sich uns beim zweiten Hinsehen: Der Anblick des toten Tiers verändert die Wahrnehmung der Welt, der Wind flackert, und die Allee erscheint bunt – als hätten Feuer und Farbe auf der Grenze zwischen Hier und Dort die Gestalt gewechselt, seien nun aufgehoben in einer anderen Form von Leben. Allein, der Blick durch die leere Hülle des Tiers zeigt nichts als die Hand, die es trägt, und von der Ahnung einer gewissermassen «natürlichen Transzendenz» bleibt möglicherweise doch nichts als die profane Transparenz. – Solche lyrischen Miniaturen sind Geschenke, gestaltet von einem Wanderer an den Rändern des Schweigens.

Thilo Krause bringt uns von seinen Exkursionen durch das Alltägliche unverbrauchte, atmosphärisch starke Bilder mit, geschaut mit dem präzisen Blick des Dichters, aufgehoben in sparsam und leise gesetzter Sprache.

Dafür ist ihm zu danken.

Gedichte

Stadtkirche

22. August 2002.
Aufhebung des Katastrophenalarms in den meisten Gebieten.
12 Uhr, Pegel Dresden: 4,20 Meter.
dpa
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Hier ging das Wasser durch
schwoll wie die Luft im Innern der Orgel
im Innern des Balgs, der mit dunklem Mund die Töne trieb.
Musik, die in den Wänden floss, aber alles blieb heil.

Hier ging das Wasser durch
wusch Wände, Gestühl, den Fuβ des Altars
doch was es wusch, ist angehaucht, stumpf
ist versunken in Öl, der schmutzigen Ikone
in den Farben des Tags auf der anderen Seite der Mauern:

Jemand schöpft seinen Garten leer
wie einen Kahn, der Leck schlug
und der Rumpf hebt sich ein wenig
die Tomatenstangen zur Seite gelegt wie schmächtige Ruder.
So viele stehen vor ihren Häusern
schauen der Stadt zu
die gurgelnd wieder an der Oberfläche erscheint.
Der Sommer saugt und saugt. Er ist neugeboren heute
mit groβen, klaren Augen in den Wolken
dass die Helle auch hinabreicht zu uns.

Auf dem Schlick unter der Empore
eine schmale Bahn Licht, eine knittrige Seite
die wartet
wartet
glatt gestrichen zu werden.

Und dann, was schreiben wir?

An den Hängen, den steileren sind die Wege fast trocken
dampfen die Straβen wie nach einem flüchtigen Guss.
Und die Leute folgen dem Sand nach, der goldenen Spur
als hätte es nur ein paar Körnchen angeweht dort.
Aber der Talgrund schluckt schwer
an Treibholz, Verschalungen, Müll.
Der Talgrund sind wir und der Müll
ist hier bei uns im gröβeren Schiff
das schief liegt und stumm
die Orgel für Wochen mit angelegten Flügeln...

Dona nobis pacem.

Aber unser Choral ist ein anderer.
Von fern das erste Auto!
Ein Geräusch, das hereinfliegt
wie die Spatzen manchmal
durch eine der offenen Türen.
Und wir in unseren lächerlichen Stiefeln
den Händen und Haaren voll Dreck
lauschen dem einen stotternden Motor
als sei es Gesang: Dona nobis pacem.
Das Drauβen gibt es wieder und auch das Drinnen.

1986

Nach Eintopf und Pudding und Kakao
mit Groβmutter in der Stube
die Sessel zusammengeschoben
die braunen umgürteten Lehnen
ganz zusammen
unter den Fotos von vor dem Krieg
dann ein Stündchen
über die unbewegte Fläche der Ferien getrieben
vergessen wie viel 1 und 1 war
aber Groβvater wieder mit zwei Beinen gesehen.

Feuersalamander

Mein Blick flog ihm zu. Dem Köpfchen
mit den leeren Augen, den Zehen
wie noch verhakt in den Poren des Asphalts.
Ich bückte mich und löste ihn
aus dem sanften Scheitel der Straβe.
Um uns flackerte der Wind, die Farben der Allee.
Ich trug ihn ein Stückchen
den dunklen knisternden Leib
sah durch ihn hindurch
nicht mehr als meine eigene Hand.

Sihl

Den Reisschnaps - ausgetrunken!
Jeder kehrt auf seinen Platz zurück,
den Mond zu schauen!
Kobayashi Issa

Auch du lebst unter einem prächtigen Himmel.
Schwemmgut und Reiher. Das beides ist gewöhnlich
und schön. Wie das eine geduldige Tier
dem Fluss folgt, der langen glitzernden Schrift
schaust du vom Balkon aus dem Mond zu.
Kühl brennt er seine Spur ins Blau.
Verlass' dich drauf!
Am schlickfeuchten Ufer glänzen
Holz, Plastik, ein paar kleine Teile Metall.