Sarah Rinderer, geboren 1994 in Bregenz, studierte Bildende Kunst – Experimentelle Gestaltung und Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften an der Kunstuniversität Linz sowie ein Semester an der Iceland University of the Arts, Reykjavík.
Beschäftigt sich in ihrer Bildenden Kunst und Literatur, konzeptbasierten Arbeiten und Prosatexten, Künstler:innenpublikationen und Lyrik mit der Sprache an sich, ihren Leerstellen und Zwischenräumen.
Ausgezeichnet unter anderem mit dem Barcelona Stipendium des Landes Vorarlberg 2020/21, dem Kunstförderstipendium für Literatur und Kulturpublizistik der Stadt Linz, dem Vorarlberger Literaturpreis 2017 und dem STARTstipendium für Literatur des BKA 2015.
Veröffentlichte Lyrik unter anderem in: Logik des Imaginären. Diagonale Wissenschaft nach Roger Caillois, hrsg. von Anne von der Heiden und Sarah Kolb, Berlin 2021; Wo warn wir? ach ja: Junge österreichische Gegenwartslyrik, hrsg. von Robert Prosser und Christoph Szalay, Innsbruck 2019; LICHTUNGEN 151/2017; von blaugrau bis rosa, Künstlerbuch, Lindabrunn 2016; miromente 35/2014.
Lebt und arbeitet derzeit als Autorin, Künstlerin und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunstuniversität Linz zwischen Wien, Linz und Hard.
"Nach 19 Jahren in der Jury war die Eröffnung der Gewinnerin für mich heuer wie ein Wunder: Von hunderten von Einsendungen haben 4 Juror:innen eine Vorarlberger Autorin ausgewählt - und das einstimmig und überaus verdient. Einfach fantastisch! Ich freue mich riesig für Sarah Rinderer." Marie-Rose Rodwald-Cerha, Jurorin
Laudatio
Tobias Pagel für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2021
Als „Sektorenfeuer“ bezeichnet man in der Seefahrt Leuchtfeuer, die nicht im gesamten Horizontbereich einheitlich leuchten, sondern in den verschiedenen Richtungen Licht mit unterschiedlichen Farben und Taktungen ausstrahlen; sie dienen also der Orientierung auf See [[...]] (vgl. Wikipedia).
„Sektorenfeuer“ lautet auch der Titel des Zyklus von Sarah Rinderer, in denen das lyrische Ich in fünf Gedichten eine vom Meer geprägte Landschaft ausleuchtet und sich selbst darin zu fassen versucht.
Dabei werden in einer unaufdringlichen, reduzierten Sprache klare, präzise Momentaufnahmen gemacht und immer wieder die Grenzen zwischen Ich und Welt ausgelotet: Auf sich selbst zurückgeworfen hört das lyrische Ich einmal „schuh an fastinselspitze/ […]/ mit den steinen auf“, später wird sein Schatten „eine zukunftsweise/ wachsende riesin“, also schier „endalaust“ (isländisch für endlos), so auch der Titel des Gedichts.
Schiffe sind in Sarah Rinderers Gedichten nur fingernagelgroß und „eine möwe/ trägt ein krokodil“, die jeweilige Perspektive bestimmt also die Weltwahrnehmung entscheidend. Die verdichteten Bilder knüpfen an „uralte geschichte[n]“ an und sind gleichzeitig in ihrer Art überraschend und frisch. Sie erstehen genauso leicht vor dem inneren Auge, wie sie geschrieben zu sein scheinen und erhellen so sektorenfeuergleich die Sicht auf die Welt.
Dazwischen der literarisch an Maren Kames erinnernde „wind der sich an meine ränder lehnt“, als kursive Einsprengsel im Gras „wieder und wieder/ die neuen Buchstaben übt“, und gleichzeitig im Gedicht zur Sprache und damit in die Welt kommt.
Das lyrische Ich ist beständig mit dieser eigenen Verortung, dem (Wieder)Herstellen einer (unterbrochenen) Verbindung beschäftigt: zu sich selbst, zu einem „Du“, zum Land, seiner Geschichte, Sprache- und geht dabei unter die Oberfläche: zwischen „fluoreszierende[n] streifen“ und „dunkelsektoren“ fern-ortet das lyrische Ich, die Berührungspunkte mit dieser Welt im Blick, zwischen historisch-kulturellen Referenzen und „heute-geschmack“- ein überzeitliches Thema, das einen sprachlich leichtfüßig mit auf eine tiefgründige Reise nimmt: „eine möwe/ trägt ein krokodil/ fünfzehn seemeilen in die weite“, schreibt sie in „fern-orten“. Ihre Gedichte tragen weiter- Dafür erhält Sarah Rinderer den Feldkircher Lyrikpreis 2021.
Video
Gedichte
fluoreszierende streifen
(grün | 25° – 67°)
kursive handschrift der gräser im wind
die wieder und wieder
die neuen buchstaben übt
ich denke so viel
kaum eine ruhepause
länger
als ich ein gedicht sprechen kann
kurz vor dem leuchtturm
überholt mich eine joggerin
an den ärmeln ihrer windjacke
fluoreszierende streifen
am wegrand
die vom regen
aufgeweichte verpackung
eines feuerwerks
fern-orten
(weiß | 67° – 217°)
schläfst du?
frage ich nachts
das displayleuchten
tagsüber
stillelos
schuh an fastinselspitze
höre ich
mit den steinen auf
fern-orte
fingernagelgroße schiffe
im horizontbereich
gefrorener mehl
schnee staub
meersalzschuppen
auf der haut
auf dem gischtrauen verputz
des leuchtturms
von kindern gemalte tiere
eine möwe
trägt ein krokodil
fünfzehn seemeilen in die weite
endalaust
(rot | 217° – 281°)
ich bin besessen von muschelfragmenten
von drei-in-eins-
multifunktion facetten
vom ankommen meiner fußsohlen auf vulkansand
wind der sich an meine ränder lehnt
von trompetenhöhen zwischen kopfhörerschalen
flügel
fädig
lappen
tang
den angespülten wurzeln
fremdartiger gewächse
summend
braun bis purpur
ich nehme alles
auf der ersten silbe beton-end–
los, weiter: mein schatten
eine zukunftsweise
wachsende riesin
o
(grün | 281° – 294°)
ein pastellfarbener fischcontainer
er los-gelöst im wind
in die bucht hinaustreibt
statt der alten zeichen des heimathafens
auf der seite nur
die kontur eines kreises
gróttasong
(dunkelsektor | 294° – 25°)
heute-geschmack
der wärme in meiner isolierkanne
flut
die landverbindung zur leuchtturminsel
unterbrochen
warte auf netzwerk
wieder und wieder
am parkplatz
autos mit ausgeschalteten scheinwerfern
träumen
körnig
mit fern-auslöser
eine uralte geschichte
in den ortsnamen
eine mühle
sich drehende steine
wieder und wieder
knirschen gold
glückseligkeits-schaum zitterte
später feuersignale
salz
immer mehr
zu mahlende wünsche
bis das meer salzig wurde
aus einem minibus mit der aufschrift
happy world
steigen dunkle silhouetten
wie seekönige
und wo der himmel heller ist
sage ich nordlichter voraus
aber es ist nur der leuchtturm
der wieder und wieder
grün aufblinkt