Armin Steigenberger, geboren 1965 in Nürnberg. Er schreibt vorwiegend Lyrik, veröffentlichte einen Roman und verfasst Theaterstücke. Zahlreiche seiner Texte erschienen

in Literaturzeitschriften (Am Erker, Dulzinea, erostepost, Frankfurter Börsenblatt, DAS GEDICHT, lauter niemand, Literatur in Bayern, Macondo, NDL, Ostragehege, perspektive, poet:in, stadtgelichter, Süddeutsche Zeitung u.a.) und Anthologien (Christoph Buchwald & Dagmara Kraus: Jahrbuch der Lyrik, Schöffling & Co., 2020, Frankfurt/Main; Lyrikanthologie zum Feldkircher Lyrikpreis bei der Edition Art Science, 2016 und 2017; Daniela Seel und Anja Bayer: all dies hier, Majestät, ist deins: Lyrik im Anthropozän, Anthologie, kookbooks, 2016; hab den der die das. Der Königin der Poesie. Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag, Edition Art Science, 2014, u.a.). Einzelveröffentlichungen: sprich: malhorndekor und barbotine, Lyrikkooperation mit Frank Milautzcki, Black Ink Verlag, München, 2021; das ist der abgesägte lauf der welt, Gedichte und Geisterspiele, edition offenes feld, Dortmund, 2020; die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln, Gedichte, Lyrikpapyri, Edition Voss, Horlemann Verlag, Berlin 2014, u.a. Steigenberger ist Mitherausgeber der Literaturzeitschrift außer.dem und Mitglied der Autorengruppe Reimfrei. Er veröffentlicht Rezensionen, Essays und Kolumnen, organisiert Lesungen sowie Schreibseminare und gestaltet die Sendung poesie[magazin] bei Radio Lora München 92,4. Er erhielt diverse Auszeichnungen: Stipendium des Deutschlands-fonds im Rahmen von NEUSTART KULTUR 2021; 2. Preis Buchmesse im Ried, Stockstadt am Rhein, 2013; 1. Preis beim 11. Irseer Pegasus, 2009 u. a.  Armin Steigenberger ist verheiratet und lebt in München.

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Gedichte

Weltenbrand 3a 

Allez hop! T'occupe, t'inquiète, touche pas ma planète
It's not today que le ciel me tombera sur la tête
Plastic Bertrand, Ça plane pour moi1

 

1 WHEN THE CHIPS ARE DOWN

Zuerst war fast alles noch voll im Lot. Dann allmählich kamen
die infernösen Mücken, die Söldnerarmee der erklärten Komfortzonenverlasser, 
die Abkömmlinge des ehemals ganz großen Dings und ihr frohes Platzhirsching,
die Endverbraucher vom weltbesten Schlag, später die grindigen Belle-de-Jours,
dann die nonbinären Huren mitsamt den unregulierten Schusterjungen.
Das Einfallstor bildeten die Inkunabeln der auf den Kopf gestellten Bohème.

Dann kamen die Garagenworte der gehashtagten Amtsschreiber,
die Popkornlyriker mit ihrer albernen Zeitkritik, ihren feuerroten
Vorurteilen und verübten Foodporn. Wir Radauschwestern nannten das
Agendalyrik. Die speckigen Hemdkrägen und ihre Amtsträger kamen später,
mit olympischen Avancen sowie mit kontaminierten Alexandrinern.
Und starrten auf ihre Betriebsmeriten: Es waren die schaumgeborenen
Neunaugen aus dem zweiten Möwenkrieg ohne jedes Ehrgefühl, sie benetzten
ihre dunstigen Kehlen mit russischem Krimsekt. Was für ein Katarakt!

Sie alle zeigten disparate Bewegungsmuster auf dem glamourösen Schirm
der Industrielandschaft und trieben komplett schmerzfrei ihre Bauchnabelshow
ins verspätete Laub, verübten entweder Muff, Mief oder Mischief.

Ein kreischendes Kitschfestival ohne Maske nannte sich Mein inneres Böhmen,
die Teilnehmenden taten sich gütlich im flirrenden Glast des dritten C-Jahres.
Ihr maskenloses Humbahumba schepperte über alle Reizschwellen und feiertags
krähten alle zusammen dann noch ein paar handgeschöpfte Lieder schier zur Feier
und klingelten zum Refrain mit dem rasant steigenden Ölpreis.

Schließlich kamen die achtsamen Motoren wieder zum Einsatz, es war ja wieder Krieg,
die halben Hähne aus der Zukunftswerkstatt und schlussendlich
sangen uns die Rechtsabbiegerinnen ein paar neue alte Kriegslieder.

All das stand schon seit Wochen in der Mediathek bei Ssssh.

Nach dem kleinen O wie Omikron kam P wie Putin.
Die Pandemie war über Nacht vorbei
und es wehten stattdessen blaugelbe Fähnchen.

Es waren stürmische Zeiten, wahrlich. Und hinter den Mülltonnen
lauerten bereits die wahren Bleib bei dir selbst-Ratten & Rättinnen.

Während der Schweigeminute schnurrten ein paar Handys.

 


1 Komm schon, hey! Mach dir keine Sorgen, rühr meinen Planeten nicht an.
It's not today, dass der Himmel mir auf den Kopf fallen wird

I hope that when the world comes to an end, I can breathe
a sigh of relief, because there will be so much to look forward  to.

Donnie Darko

2 WHEN TURNING THE CRANK IN CLOCKWISE DIRECTION

Zeitgleich gab es eine Schalte zu den Leidwölfen und ihren geschmerzten
Lippenblütlerinnenliedern: Die besangen ungebremst ihre frivolen Sommernachts-
Gemütstiefen von der idealen Reiseflughöhe. Gaben ihren Klick- und Kipplauten
die nötige Form im Ausdruck. Das Motto lautete: Ohtöne, rhapsodisch, vorgetragen
mit unterkühlter Stimme und Brandrodungsblick.

Kurz hinterm Windpark sägten einige Liebhaber in Countrycordhosen
an der implodierenden Gesellschaft. Ein paar Sprizzmenschen jubelten
gegen den Strom, veratmeten poetische Kalauer und begingen linke Streifzüge
durch ein deutsches Brustorgan.

Allen denjenigen, die mir mein Signal gestohlen haben, will ich unter die Haut lecken.

Nur im Paralleluniversum wurden noch Gedichte geflüstert. Man zahlte übrigens
haariges Schweigegeld, damit all das endlich aufhört.

Katharsis war gestern: Der Gott des Tages 2 war abwesend, die Bewegung ging Richtung
Hades. Im Alltäglichkeitsgewand keine besonderen Vorkommnisse.

Wir zeichneten alles auf.
Unsere Schrifttypen wurden enttarnt. Die Alexandrinerinnen blieben, was Herz-
attacken angeht, in der Bluse: hinterließen nur ihren ziemlich großen Egoabdruck,
als ein Großhirnrind von den Hot Pens im Sweat Shop den Gelbe-Birnen-Preis gewann.

Ein Joyceversteher schrieb dazu eine läppische Kolumne im Journal für posierende Poeten.
Was für eine Dramaqueen! Was für eine Schelte! Hölderlin war vorgestern, hieß es.

Wir Serifen stellten uns einen Sommer lang auf zum letzten Wortgefecht.
Anderswo brannte schon wieder ein Buch.
 


2 In Gustave Flauberts “Wörterbuch der Gemeinplätze” das Geld

When I see a bird that walks like a duck and
swims like a duck and quacks like a duck,
I call that bird a duck.

James Whitcomb Riley, Duck typing

3 WHEN WORSE COMES TO WORSE

Derweil nichts Neues aus der Boutique du plaisir,
die Weltweite war nun weltweit und
die dollsten Dinger doller denn je.
Es gab auch keine neuen Angebote
aus der Vorteilswelt. Es zirkulierte nichts.
Die Kontur des Glases zeichnete ihre fettige Spur auf das Papier.
Das Phrenische schwieg.

Es knackte nichts und der DAX fiel herab auf Untiefen, verlor glatt die Fassung.
Alle Schwestern werden Brüder, sangst du neben mir. Ich behalf mir
mit einem scheppsen Lächeln. Bei Kaffee und Kuchen über Gott und die Welt.

Vielleicht lag es an der bürgerlichen Mitte und dem eingelagerten Ammoniumnitrat,
dass es weder Liebe noch Triebe gab?
Im blutgetränkten Journal lesen wir über die Bekenntnisse eines Hochsprachlers.
Sie entkamen ihren Geschmacksurteilen nicht.

Es hinkten ein paar Jamben vorbei.

Was blieb:
Man hatte den Reizzungen die Leine durchgeschnitten.
Oder, sagen wir, die Liebessehne gekappt, wiederverwelkt
und zum Rohherz aufgeschmückt. Daran hatten wir manchmal
unsere Freude. Das zielte ins innere Fraktal,
das du gestern auf Insta geteilt hast.

Verbeulte Freuden. Räubersystolen:

Die zielten mitten in die Antikkörper und bildeten muttergültige Verlaufsformen
im eternal blue. Das Feuergespiel gegen Mondschein versichelt lippenlaut, mondschöne
Hetzjagden, Querbeettage in Apoplexien!

                    There is no pride on a dead planet
Fridays for Future

4 WHEN STARTING THE ENGINE

Alle Hiers und Jetzts sind glasdünn.

Sie wetterten über die Bohäme —

A warm welcome to intervention & prevention!, sang der Herzinterpret.

A heartly welcome to the Vollkaskoherz!
Ich habe es mit dem größten Respekt missbraucht. Es bekam Mikrorisse.

Alle Hiers und Jetzts sind glasdünn. Vor allem im Hinterland.
Dort, wo inmitten der Kriechkälte der Hormoncocktail am blutvollsten brandet
und die schrulligsten Meinungen vom Dach fallen.

Sie wetterten über die Bohäme —
Majestätsvereidigung? Das bunte Leben höchstselbst! Makulatur über alle windschnittigen
Ottonormalverdienerinnen. Lasst meinen Planeten in Ruhe,
intonierten die Coronaleugnerinnen, und nannten es Heldenimmunität.
Überbleibsel: Thesenpapiere aus der Zeit des Jammertals.

A warm welcome to intervention & prevention! Curl on the burl3!
Trouble’s brewing!

Neue Mauern müssen her, weltweit! Und Stacheldraht, Zäune, Grenzschließungen,
Erschießungen!

Wir ziehen neue Schüsse aus dem Krieg.

A heartly welcome to the European Vollkaskoherz!,
skandiert der Würgeengel.
 


3 Textzeile der Band Mastodon

Do not go to the garden of flowers
Kabir

7 THE EGGS ARE READY WHEN THE BUZZER SOUNDS

Die ausgeträumten Träume: Die Larven der schwarzen Soldatenfliege füttern unser Geflügel.
Na, warum sollte da kein Licht helfen? Die Rückseiten des Sommers. Die Tonnen
der Historie. Die Pullfaktoren des Tunnelblicks. Dabei ließen wir uns komplett verschaukeln,
sagte der Influencer (vulgo: Herzlieferant), und sang sein actionlastiges Vivat für uns.
Qua Feindjustierung: neue Flora für die bundesdeutsche Staublunge.

Neues Kurzarbeitergold wurde bereitgestellt. Jedes abkömmliche Abkommen
kam geradewegs hinein in die Abmoderation unseres Wirtschaftswachstums.
Die Lieferketten brachen zusammen.
Die Bauernfängerinnen gingen spazieren.
Die Wirtschaftswunder hinterließen
ökologische Fußabdrücke.

Manche sprechen auch vom Nichthimmel. Vom fadenscheinigen Papier.
Von Rabattsystemen. Immer was dabei für Tante und Hund. Und jeden Freigeist!
Für die outrierten Typewriterinnen von Diebesgedichten; die Hungerkünstler
mit Tütentulpen; die historisch Verunglückten mit Götterbeschau; die
wortschöpfenden
Sexarbeiter in ihren klammen Bruchbuden; die verklappten Schaumschwestern
in aller Damen Länder, mit dem Finger auf der nachgeschärften Wahrheit.

Das war Premium Plus im Topsystem. Lüg ins Land, Facebook verpflichtet!

Wir könnten aber auch sagen: Die Geschichte geht ziemlich anders. Dann bräuchten wir
allerdings ein erneutes Hundsjahr, einen mordsmäßigen Aushub und einen zuverlässig
prosperierenden Erzähler, der für uns die eklen Nullen richtigstellt,
eine Faktencheckerin im Jahr des Aars, wenn der Freundflug
um die neu aufgeforstete Zukunftsdebatte so richtig anhebt.

Immer sei es der Rand, der beraubt wird; man hole sich von dort das solideste Salz
und schlage der Selbstüberwachungsgesellschaft damit ein Schnäppchen.
Was für eine schnulzige Farce! Nicest!

Somit war eindeutig bewiesen, dass das Testergebnis nicht zutreffen konnte,
d.h. dass die Aufsichtsbehörde im Endeffekt voll feudal daneben lag.
Immer lautete deren unfassbare Losung: Gott, Glück, Verramschung.
Für uns Sirenen war das die reine Abschmelzung
im Sinne eines letzten Schreis.

Aus Laborwerten waren Laberworte geworden. Vor lauter Landkoller sprangen ein paar
Infiltratorinnen ins Meer. Es war nur behauptete Superiorität. Die Versalien aber standen auf
großes Kino.

Die Homestories leckten an ihren Krämerseelen. Die kohleverstromte property lauerte
längst in jeder Blockchain. Und dann die kleinen appellativen Scheußlichkeiten
in der Barschaft! Die bedeutungsblutenden Binnenreime der endemischen Hoffnungen!

Es ging das Gerücht vom wohltemperierten Abschaum-Lebensgefühl.
Der Bezugsrahmen war somit klar abgesteckt. Ein paar Fetische gingen viral.
Das Ende der Welt dreht sich schnell, verlas die Sonntagsrednerin.

Auf dem Absperrventil stand: Stay safe.

[Auszug aus längerem Zyklus]