Bastian Schneider

Bastian Schneider, 1981 in Siegen geboren. Studium der Psychologie sowie der deutschen und französischen Literatur in Marburg und Paris; Studium der Sprachkunst in Wien. Seit 2017 Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Förderpreis des Landes NRW 2017, Stipendiat des Atelier Galata der Stadt Köln in Istanbul 2017, Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2016, nominiert für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2016. Veröffentlichungen: Vom Winterschlaf der Zugvögel (Sonderzahl Verlag, Wien, 2016), Irgendwo, jemand - Gedichte (parasitenpresse, Köln, 2017), İstanbul, harika (Edisyon Ekmek, Istanbul/Köln, 2017), Die Schrift, die Mitte, der Trost – Stadtstücke, (Sonderzahl Verlag, Wien, 2018). Er lebt in Köln und Wien.

Laudatio

Andreas Schumann für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2018

Vom Stolpern zum Tanzen.
Bastian Schneiders Lyrik zum Feldkircher Lyrikpreis 2018

Aaah: code-switching und makkaronische Dichtung! Also postmodern-globalisierte Mündlichkeit in Verbindung mit ehrwürdigen mittelalterlich-humanistischen Traditionen, erweitert um Sprachspielereien, die dem lesenden Publikum einiges an Konzentration abverlangen. Zur Erläuterung: Die Sprachwissenschaft versteht unter code-switching den Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen in Kommunikationssituationen, sei es, dass ein Sprecher selbst die Sprachen ändert oder Vielsprachigkeit Verstehen verhindert. So weiß ich nie, wenn in einem Schaufenster die vier Buchstaben „S-A-L-E“ plakatiert sind, ob die Ware nun schmutzig ist, Salz verkauft wird oder Restbestände billig feilgeboten werden. Und der Makkaroni-Stil hat die Zeitgenossen des Spätmittelalters und der Renaissance sehr erheitert, wenn in literarischen Texten Sprachen vermischt und der eigenen Redeverwendung angepasst wurden (Johann Fischart: „Caseus vnd Schinckus die machen optime trinkus“). Thematisch wird das Ganze hier noch markiert durch Sprachkritik und Naturlyrik, kriegerische Szenarien und (bei Im Klatsch) Versatzstücken jüdischer Erinnerung. Darüber hinaus sind die lautlichen, syntaktischen und semantischen Konstruktionen reichlich komplex, so dass man beim Lesen permanent ins Stolpern kommt. Überfordert uns da jemand oder hat der Autor sich in seinem Formwillen übernommen? Es ist eine billige literaturkritische Gebärde, das eigene Unverständnis dem Dichter anzulasten, deswegen drehen wir die Kritik ins Positive. Bastian Schneider vermag es sehr gut, die Leserschaft in die Arbeit am Text mit einzubeziehen. Doch der Stolpersteine sind viele gelegt: falsche französische Artikel („la merle“), Spiegelwörter („raw der Krieg“), ein furioso (oder a frenzy) an Alliterationen, Assonanzen, klanglichen Subtilitäten zeichnet In Amseln aus. Nach und nach erkennt man bei genauer Lektüre, dass auch auf rhythmischer Ebene sehr viel passiert, immer untrennbar mit dem Klang der Wörter verbunden: „Ein Räuspern verhaspelt / die Rache raspelnder Räuber“ – oder erweitert durch Wortschatzübungen der höheren Art: „Eichen, die, röhren so hörig geeichten / Hörnchen nach. Kriechen zu kreuz / wie Croissants ohne Sorge und kross.“ Kurz, hier liegt ein Labyrinth eigener Art vor, das bekannte Wörter und Klänge in ein zunächst unwegsames Neuland überführt – und wer würde auf solchen Wegen nicht erst einmal ins Stolpern geraten?
Wenn Klang und Rhythmus die Grundlage zur Annäherung an die Schneiderschen Texte sein sollen, dürfen wir uns auf die Ursprünge von Lyrik besinnen. In den Anfängen lebt Poesie vom Vortrag, von der Mündlichkeit, vom Gesang. Und das laute Lesen dieser Gedichte bringt sie erst zum Tanzen: Klänge, Buchstaben, Wörter, Sätze bekommen ihre eigene lustvolle Dynamik – ohne auf alten Versfüßen zu stehen. Die Lautierung ergänzt die spielerische graphische Gestaltung der Wörter: „drängt sich fort die Erle, trägt eine Amsel / sammelt Lärme, die, la merle / tranchiert the air auf dem branch.“ Lautliche Inversionen, orthographische Nähen, klangliche Vorlieben (hier „Ä“ sogar sechsmal!) schaffen eine besondere Choreographie – bei genauerem Hinsehen auch in Verbindungen von „Krieg – Gier – Krach“ / „Leck geschlagen quellen Schrapnelle / Ihr Schrot. Verschrotten das Leben / die versammeln ihn Plappern schnell zum / Papperlapapp. Ach, ihr Platanen und Pappeln!“; wer da nicht mitrappeln wollte, trottet und stolpert weiter und wird nicht den Sound ertanzen, der hier geboten ist. Wie bedeutungsschwanger die Verbindungen von Natur, Vögeln, Bäumen, Sprache, Krieg und Tod auszulegen sind, tritt eher in den Hintergrund und sei der geneigten Leserschaft überantwortet…
Im Klatsch erscheint etwas sperriger als In Amseln – die Bilder ziehen sich über weite Strophengrenzen hinweg, immer noch schlüssig und auflösbar, wenn das zentrale Bild des Mohns erkannt wird. Doch auch der Mohn wird in sehr unterschiedlichen Assoziationsketten und Lautmalereien inszeniert, führt von einer Wortschöpfung zur nächsten. Schnell wird klar, dass es sich wohl um Schlafmohn handeln soll, mit der Irritation der Farbe Rot, die papaver somniferum ja nun nicht ausweist. Auch hier stolpern wir wieder über einmal aufgerufene Metaphorik, gestört durch wiederum lautlich-graphische Eigenheiten („so fängt es an, somniferum auf“), durch Permutationen („Das Gras ist / noch feucht, darunter ein Sarg“) oder durchgeschobene Silbengruppen („ich greife / hinein und lerne die Salben, Papaver / das Sabbeln nabelt sich ab.“ Das Tanzen bringen die zahlreichen Enjambements und die refrainartige Verwendung des Wortes „Klatsch“. Allenthalben die letzten zwei Strophen sind – jenseits der Klangebene – unauslotbar: „Ein falsches Dach dem Chassid. / Assisi, mein Vater, vergiß / nicht auf das Kaddisch, schick ein Wort / vom Thron untern Tisch, es soll mich bewachen / im Schlaf verfranzt mein Schalk / es wird mich verschachern im Klatsch.“ Auch hier steht allerdings das Stolpern am Anfang, befördert durch erst einmal schwierige Bedeutungen – aber die dreiversigen Strophen zeigen ihre eigene Dynamik, ihren eigenen groove.
Wer ist dieser Autor, der so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht? Bastian Schneider, 1981 in Siegen geboren, wohnhaft in Köln und Wien, Studium der Psychologie, Germanistik und Romanistik in Marburg und Paris, ab 2010 am Institut für Sprachkunst in Wien. Die Auszeichnungen, die er bisher erfahren hat, lassen ebenso aufhorchen wie seine Veröffentlichungen: Vom Winterschlaf der Zugvögel (Wien: Sonderzahl 2016); Irgendwo. jemand (Köln: parasitenpresse 2017); istanbul, harika (Istanbul, Köln: Edisyon Ekmek 2017); Die Schrift, die Mitte, der Tod – Stadtstücke (Wien: Sonderzahl 2018); Eine Naht aus Licht und Schwarz (Wien: Sonderzahl 2018). Die Preise sind nennenswert: 2008 Prix du Service Culturel des Etudiants de la Sorbonne; 2011 Finalist beim Münchner Lyrikpreis; 2013 Stipendium des Klagenfurter Literaturkreises; 2014 Staatsstipendium des Bundeskanzleramts Österreich; 2015 Walldorfstipendium; 2016 nominiert für den Ingeborg-Bachmann-Preis Klagenfurt und Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium; 2017 Kulturförderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen; 2018 Arbeitsstipendium der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen.

Bastian Schneider ist es gelungen, uns zu überraschen, unsere Aufmerksamkeit auf seine Texte zu lenken und für angeregte Diskussionen zu sorgen. Die stolpernde Erstbegehung führte zur Freude über eine neue Rhythmik, jenseits ausgetretener Pfade klassischer Metrik. Wir sind der Meinung, dass diese Gedichte ein Publikum finden werden, das sich dem Spiel der Klänge und Wörter hinzugeben vermag. Das ist allemal preiswürdig, denn das schaffen nur Wenige!

Gedichte

das sprechen dort treibt luftwurzeln (zwei Gedichte)

I. In Amseln

Der Sprachen Karst prescht stark die Rede
Erde, die. Ach, ach, ihr Espen, Erlen ihr
arg war’s zu lernen, raw der Krieg
war Gier und Krach – n’est-ce pas?

Ein Schritt nach dem Reigen am Rand
den Geier bewachen, paß auf
zu nah am anderen gar
ragt Ast für Ast die Espe

drängt sich fort die Erle, trägt eine Amsel
sammelt Lärme, die, la merle
tranchiert the air auf dem branch.
Verästeltes Rätseln demnach keine Ehre

und laubiges Espen ein spleen? Ne, ne,
keep it real. Ein Räuspern verhaspelt die Rache
raspelnder Räuber, die karren sackweise
Beute ran, bauen Särge aus Kapseln

unter Espen spannen die Amseln
lang ihren Sang oder song und
blutige Kehlen blühen im Rachen
häkeln Laken der Schlacht

 

wird geschächtet die Rede so erlig
eingeschwärzt jazzig die Scherben
der karstige Sprech über der Erde
bye, bye, blackbird. Jetzt mal ehrlich:

des Redens Erben leben bärtig
Reben, die. Noch resch und bar
haben die Raben Beeren im Schnabel
laben sich in Pappeln und Platanen.

Das läppert sich. Zu Palaver?
Ja, ja. Aber die Narben wallen
auf hinter der Wand, der Borke
ai, ai. Die hamm sich was eingebrockt.

Eichen, die, röhren so hörig geeichten
Hörnchen nach. Kriechen zu kreuz
wie Croissants ohne Sorge und kross.
Die haben dem Sommer die Nüsse

vergraben. So süß diese Oasch, diese
Oachkatzerln schweifen, que pasa?
und singen die Chöre verstört ihr
no pasaran! on oaks aus dem Off und

Leck geschlagen quellen Schrapnelle
ihr Schrot. Verschrotten das Leben
die versammeln ihr Plappern schnell zum
Papperlapapp. Ach, ihr Platanen und Pappeln!

 

Eure Pläne sind plan, eben eben,
eure Blätter nur Nebbich und ästliche Ebbe.
Mit Barten zwar, aber die Grasnarbe wartet
auf eure Berichte, Beichten vom Nabel

nennt Namen gebannt!
Was haben die Krähen gekrächzt?
Was haben die Raben gelabert?
Kein „aber, aber“! Tacheles jetzt, sonst Zores.

Werdet ihr wegzerrt und zu Sesseln gedrechselt
eingekerkert in Erkern, wo Recken sich setzen auf euch
netzen die Kehlen mit Rebensaft, necken mit Federn
den Speiseschaft, faschieren das Sprechen zu ächz und ach.

Denn harken die Krähen keck den Garten
vernarben die Raben nett den Tag
die Sprache verkracht und die Rede
verrammelt das Sagen.

O ihr Raben und Krähen
sprecht mir vom Karst und vom Erbe
vom Erstarken der Rede in Erde und Sarg.

O ihr Espen und Erlen, ihr Pappeln und Platanen
häkelt mir Sagbares, Wahrsage in meine Kehle
und laßt mich in Amseln sprechen.

II. Im Klatsch

Im Klatsch diese Röte
ein Röcheln darunter Papaver
der Vater des Tratschens.

Wem trachtet er nicht nach dem
Schlaf, der uns hat? So umnachtet
mit Krone noch grün. Der Tag

sieht den Schleier als Leiern von
Nebeln, darin lebt es sich gelb
und schlierig. Ein hiesiges Säbeln.

Die kleben, die Stengel, am Finger
gebrochen der Länge nach greifen
sie ein in die Brocken des Dengelns.

So fängt es an, somniferum auf.
Der Weg ist recht lang, mein Vater
wie lang noch die Erlen ballern?

Ein Schneiden ist Wind in den Haaren
da weidet ein Flüstern von Messern
ganz Mähne und Schweif.

So hämisch wie Fische im Matsch
die denken in Blasen. Das Gras ist
noch feucht, darunter ein Sarg

 

eine Tasche, mein Vater, ich greife
hinein und lerne die Salben, Papaver
das Sabbeln nabelt sich ab.

Eine Blüte so rot in den Augen
der Töchter des Röchelns.
So geht der Mohn auf.

Der Schlaf klatscht heran und ich
latsche dem König in seine Arme
der gönnt mir nichts als Farne.

Ein falsches Dach dem Chassid.
Assisi, mein Vater, vergiß nicht
auf das Kaddisch, schick ein Wort

vom Thron untern Tisch, es soll mich bewachen
im Schlaf verfranzt mein Schalk
es wird mich verschachern im Klatsch.