Bernd Marcel Gonner

Bernd Marcel Gonner, geboren 1966, lebt in Baden-Würrtemberg. Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte sowie Deutsch als Fremdsprache. Arbeitet als freier Schriftsteller. (Lyrik, Prosa, Theater) sowie im Bereich DaF. Seit 2002 zahlreiche Veröffentlichungen – Erzählungen und Gedichte  in Zeitschriften und Anthologien, letzter Einzeltitel Pirat oder Seeräuber sterben nie (Kinderbuch) (Editioun Bicherhaischen). Von den Theaterarbeiten zuletzt Grimmia sessitana oder Einfache Seligpreisungen als performative Lesung auf dem 13. Marburger Kurzdramenfestival des Theaters GegenStand 2016.
Auszeichnungen: Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis der Landeshauptstadt Saarbrücken 2013; Gewinner des 10. Literaare Schreibwettbewerbs 2014 des Thuner Literaturfestivals; Sonderpreis der Jury des 13. Marburger Kurzdramenwettbewerbs 2016; 1. Preis des Concours littéraire national (Luxembourg) 2016 (Kategorie: Kinderliteratur; Ausschreibungsgebiet: Kinder- und Jugendliteratur).

Laudatio

Julian Schutting für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2017

Zweierlei Temperamente? Dichter, die im Glauben an die für die Kunst belanglose Aufklärung bemüht sind, hinter ihren Verdichtungen deren Rohmaterial für die gutwilligen Leser erkennbar zu halten; und Dichter, denen solch ein Entgegenkommen fernliegt.

Mußten zwei Autoritäten, Luther und Thomas Müntzer aufgeboten werden, um den ´Liebesliedern` Gewicht zu geben? sicherlich nicht – die beiden Herren haben eine ähnliche Funktion wie Wegmarkierungen im Gebirge: sie weisen auf die eigentümliche Sprachgewalt dieser Dichtung hin, die sich in eigenständigen Kunstsprachen samt Entlehnungen aus der Bibel erprobt, zur Dämpfung des ihr immanenten Pathos flapsige Wendungen sich nicht notwendigerweise ironisierend verpaßt. überraschende und daher überzeugende Reime und Reimanklänge.
das Ganze meines Erachtens dem Geist der französischen Moralisten seelenverwandt. wäre ihm ´dunkle Helligkeit` oder auch ´nüchterne Trunkenheit` (letzteres von Augustinus?) zu attestieren? Heikles drückt sich delikat aus und zugleich auch nicht – Dezenz ja ein Merkmal des Kitsches.

die christliche Symbolik! das Lamm aus seiner Vergeistigung oder Vergeistlichung ins Sinnliche zurückgerettet.
das Gerüst dieses aufs äußerste reduzierten Gebildes ist zugleich seine Essenz. als hätte kühle Intellektualität heiligen Zorn und auch vom Halbgott Eros Beseeltes in die Schranken gewiesen. der Generaltitel ´Liebeslieder` vermöchte die Liebe, die die Liebe ist, nicht zu befremden – so verschiedenartig die von ihr gewählten Wege (und in diesen Gedichten schwingt als allzu privat Ausgespartes hörbar mit)

der Autor auf den ersten Blick als ein poeta doctus zu erkennen. und dieses sein aus mehreren Gedichten zusammengefügtes Gedicht müßte so rezitiert werden, wie sich junge russische Dichter auf die Art von Lermontow heutzutage noch singen.

bei unserer Jury-Sitzung hab ich dieser von mir favorisierten Arbeit, deren Inhalt ich aufgrund der Kluft zwischen dem jeweiligen Gedichtstitel, Regieanweisungen nachgebildet, und dem, was an Gedicht wie ein kommentierender Monolog folgt, nicht gut wiedergeben könnte, eine Bemerkung vorangeschickt: zweifellos sei sie ´insiderisch`, aber, da sich selbst genug, an niemanden gerichtet, also gewiß nicht einem erlesenen Kreis Eingeweihter zugedacht.

Gedichte

(n)immer / müder / Flug
Liebeslieder

Es müssen auffhören die Weissagungen / vnd
auffhören die Sprachen … (1. Korinther, 13, 8,
Übersetzung Luther 1545)
„Dran, Dran, weyl ir tag habt … volget, volget!“
(Thomas Müntzer)

1
Hubert Fichte geht als Schäfer nach Frankreich
und lernt mit Aldo und Serge die wahre Liebe
kennen

Du schlugst nach Wolf wo andre schon fluchten
                                                                     bei dem Lamm
du pflegtest stolz
wo andre wurden bang
dein Gott gefall's
und schliefst zu drei'n
ohne der Sünde Schweiß und Kletten
auf deine Weise bar und heiß
in unverfrornen französischen Betten
mehr laut als leis'
(das deutsche Land lag klamm)
du trugst das Schaffell blank
als Leder
(von selb'gem zogst du jetzt und später
–  i m m e r  schwarzer Peter)
du gabst den Bock
du sagtest: krank / Gesocks

sei der und jeder
einzig die Schur helfe
gegen den Wohlstands-Köder
Beize und Kur
färbten die Liebe röter
und pur
die Auferstehung brauche den Töter
den Stich der Sau das harte Pflaster der Hur' –

du lagst beim Wolf wo andre versucht warn noch
                                                                          vom Lamm
sagtest: das Biest werde so zahm und fetter
heilig sei dies und das
sei einen auf Kind der Straß' (lässlicher Prass)
                                                                      im Übermaß
das g a n z e Mahl
wir selber Gral
blühten in Zorn und Wettern –
die andren guckten dumm
zuckten / die Hucke krumm / vor Plag' und Wolf
schickten nach Lamm und Retter
du nicktest stumm
sagtest: dess' Blut sei deiner Triebe / Kriege Golf-
Strom / die Lebensdürste täten's nicht adretter –
sie: zückten höhere Voltage – –
aus deinem Unterholz hiebst du durch Gott
                     und Rage
durch deren Winterfrucht-Plantage
neuer Eltern Stamm

 

Napoleon Seyfarth geht als nacktes Schwein
auf die Straßen der alten BRD und lehrt sie
die andere Liebe und das Fürchten*

[mit eigener Stimme]

So fuhr die Macht in unsren Streichelzoo ins
                     harte Land
wir: doppelte Bandagen drehten voll auf Kant'
die Sterne rauschten durch die Zukunft
                                                                   in den Keller
at their best – allein: wir warn Out-Seller
                                                                     Marke Pest.
Wir warn die Kuckuckskinder
ausgesetzt ohn' Probe – in Feindeshand
war alles draußen – wir fürs Grobe
tobten's Seelenleben vor die Wand.
Porte kamen Porte gingen
rüde trieb's die Pracht durchs Land
Sterne warn zum Niederringen
führten's Fleisch am Wickelband.
Niederknien hieß uns die Rage
die wir liebten bis zum Frust
welcher Kopf bot da Passage
von der Steiß- zur Herzenslust –
– welches Wort war das savage
jenes welches Herr und Page
mit dem In these men we trust?

So fuhr der Menschensohn in unser Fleisch
                                                               als Querulant
unsre Potenzen blühten als Leckagen blühten
                                                                    außer Rand
die Schöpfungskerne rauschten ob der Brunft wie
                                                               Holz beim Fäller
Biester at their best – wir aber waren schneller:
                                                       gaben uns den Rest.

* Napoleon Seyfarth, Schweine müssen nackt sein

Friedrich Hölderlin geht mit Sinclair ins
Griechenland der Seele und macht sich an
Homers queeren Helden zu schaffen*

Am räud'gen am deutschen Weidenbaume
ist dein Achilles
dir gestorben
in seinem Harnisch und Bräutigam seinem
                     Gemächt
am Arsch deinen Göttern geworden**
– des Menschen Schweinehund will es
er folgt seinem Träume
löst seine Locke
treibt's mit dem Bocke
von zart nach verdorben
von Hur' zu Aborten
pur Himmelspforten
von Krätze zu Ruhr –
ein Kerl noch
ein will'ger
dann räumt's ohne Morgen
den Kampfplan
vom Leben als Schlagtot / als Morden
als Frachtkahn
als heiliger Schwan
in eine Welt
voll nüchternem Wahn
ohne Zunder und Span: blinde Nächte
Akut-Acheron –
Patroklos der verreckt' dir am Saume
der Pracht
(knüppeldick aus dem Sack in die Schlacht
n o c h ein entflammter Lümmel von unter der
               Magengrub' / Herzbub
d e r spuckte Schaum)
der sprang gut
keine B o h n'  –  S c h e u n e n t o r e von Blut
die er leckte
am Kithäron: (wie du's schriebst Heldensohn) –
             scheiß auf Heldenlohn – –
am räud'gen am deutschen Baume
liegt er begraben
Manneskraft nimmersatt
steht seine Fron absolut (null Pardon) / keinen
Lenz keine Grenze kein Zaum / steht seinen
Dienst auf der Matte vom kommenden Gott /  
                 steht seine Latte
– liegt Elevthäre diese Chimäre der frühwarm
                          noch ungeduschten Brüder Stadt

* Friedrich Hölderlin, Mnemosyne
** evtl. + blank (also: blank am Arsch deinen Göttern geworden)

Vladimír Mišík geht ins stille Kämmerlein
und singt die alten Liebeslieder
von Donne Shakespeare und Konsorten
solo und ohne Begleitung*

Die Lieb' ist wie der Morgenstern –
der schwarze Himmel kriegt den Flow.
Verschließt die Häuser! Treibt's extern!
Sagt allen Lichtern: Habt mich gern!
und stellt das Fleisch auf offen
ihr deren Herzen längst ersoffen.
Die Lieb' ist wie ein Bastardschiff
das das Paradies erkor
den Mannen dreht der Mut aufs Riff
und's Morgen hypet. Verpiss dich Tor!
Die Lieb' ist wie ein Aufwachschmerz
und heißer Sterne Griff
die durchs Fenster kerkerwärts
Hochzeit halten mit dem Siff.
Die Lieb' ist wie der Morgenstern –
der schwarze Himmel kriegt den Flow
das Leben brennt durch bis zum Kern
und Liebe sagt zu Toten No.

* Vladimír Mišík, Variace na renesanční téma