Joseph Felix Ernst

Joseph Felix Ernst, wurde 1989 in Burghausen an der Salzach geboren. Er studierte Buchwis­senschaft und Germanistik an der FAU Erlan­gen und der Uniwersytet Jagielloński in Krakau; als DAAD-Tutor war er 2016 an der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw. Für seine Lyrik und Prosa wurde er mit dem Förderpreis der Nürnberger Kulturläden, beim Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin und dem Elf-Perlen-Stipendium zum 200jährigen Jubiläum der KHM ausgezeichnet. Er veröffentlicht regelmäßig in Literaturzeitschriften und Anthologien, wie z.B. BELLA triste, Krachkultur, Neue Rundschau, SuKuLTur etc. Momentan arbeitet er an seinem Romandebüt „Zabaoth“ und seinem ersten 139 Lyrikband „Die Mündungsfeuer meiner Selbst­herrlichkeit“. Zuletzt erschien 2019 sein Gedicht „Lemberg“ als Beitrag in der Flugschrift gegen Rassismus des Literatursalons Donau. Er wird vertreten durch die Literaturagentur Brinkmann, München.

Laudatio

David Fuchs für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2019

Trichophagie und Trichotillomanie sind psychische Krankheiten, Störungen der Impulskontrolle, deren Betroffene sich die eigenen Haare ausreißen und verzehren.

Bei Joseph Felix Ernst klingt das so: „die locken deiner ungewaschenen fotze // amuse-gueule - sagst du. // und stinkst.“

Das ist ordinär, direkt, und wir finden uns unmittelbar in einer Welt, in die uns der Dichter gleich in den ersten Zeilen bugsiert: in einer psychiatrischen Klinik, mittendrin in deren abnormer Nor-malität.
Und er lässt uns hier zurück, zeigt uns Spielarten des Abnormen, immer in einer Sprache, die alltäglich daherkommt, einfach, grob zuweilen, und die uns trotzdem - oder gerade deswegen? - präzise die Gefühlswelten der handelnden Figuren erschließt.Die Verzweiflung, die Resignation - „du: aus gewohnheit leben wir – //
nicht aus überzeugung“, die unerträgliche Trägheit, die Schlaflosigkeit der Kranken: „den verstand // in beinerne urnen // die sich auf unsere hälse stützen.“

Es gibt aber auch Annäherung, die sich in sexuellem Begehren äußert, das wiederum recht grob daherkommt, etwa der „zähe fiesel“, der auf den „pfirsicharsch“ zeigt. Joseph Felix Ernst schafft es aber, auch hier, mit brutalen Worten eine Art Nähe durchscheinen zu lassen, eine Solidarität der Ausgegrenzten, die einander Mut zusprechen, auch wenn es Mut im Wahn ist: „hör nicht auf zu essen, sage ich. // du magst recht haben. // wer sein haar nicht isst, // der stirbt. // bestimmt.“

Und es wird gestorben in diesen Gedichten: ein Suizid, jemand hat sich am Duschschlauch erhängt, was man achselzuckend zur Kenntnis nimmt und sich um das übriggebliebene Frühstücksbrot balgt.
Trichophagie verursacht häufig Bezoare, Haarsteine, die zum Darmverschluss führen können, aber auch, wenn sie tierischen Ursprungs sind, in vormodernen Kulturen als Heilmittel gehandelt wurden (und werden).
Joseph Felix Ernst bietet uns mit seinen Gedichten kein Heilmittel an, nicht einmal die Aussicht darauf, keine Leichtigkeit, keinen Ausweg, sondern einen unverstellten, unsentimentalen Blick auf eine Welt, oder, besser gesagt, auf Welten, Innenwelten einer psychiatrischen Station und der Menschen, die sich dort aufhalten müssen. Dass ihm dies gelingt und sprachlich glückt, dass es uns als Leser trifft, aber eben trifft, und nicht anrührt, dass es niemals pathetisch wird, ist das Besondere an diesen Gedichten.
Joseph Felix Ernst wurde 1989 in Burghausen an der Salzach geboren. In Erlangen und Krakau hat Buchwissenschaft und Germanistik studiert.

Für seine Lyrik und Prosa wurde er bereits ausgezeichnet, etwa mit dem Förderpreis der Nürnberger Kulturläden oder beim Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin. Derzeit arbeitet er an seinem Romandebüt „Zabaoth“ und seinem ersten Lyrikband „Die Mündungsfeuer meiner Selbstherrlich-keit“.

Selbstherrlich sind Gedichte nie, aber auf die zukünftigen Mündungsfeuer aus den Kanonen dieses Autors darf man gespannt sein.

Wir gratulieren herzlich zum zweiten Platz!

Gedichte

Werke

auf station

(Auszug aus einem Zyklus)

für m. am duschschlauch
und h. mit den offenen armen

zwei: haare

du frisst dein haar.
das ist gesund, sagst du.
(dein schädel weiß
und schier)
hör nicht auf zu essen, sage ich.
du magst recht haben.
wer sein haar nicht isst,
der stirbt.
bestimmt.
bestimmt.
bestimmt.
die locken deiner ungewaschenen fotze:
amuse-gueule – sagst du.
und stinkst.

vier: frühstück

beim frühstück sprechen wir
über den einen am duschschlauch
oder gar nicht.
wir sind uns einig:
wer will, der findet
einen weg.
die überzählige brotration
ist die beute
der übrigen.
wir spotten des
glühwurmstichigen leuchtens
der nachtschwester.
suizidprotokoll.
stundentakt.
totentanz.

 

acht: türen

hinter schlafenden türen:
der ordinäre protest gegen das geborensein.
die müdikgeit am tage:
blessuren des widerstands.
barrikaden aus daunen und hader.
die röte der augen:
wundmale eines namenlosen heilands.
nur löwen
und übernächtige
reißen das maul auf.

elf: eiter

der boden ist so nass
von deinem eiter.
das gehen
fällt mir schwer.
die adern schier und dürr.
unser blut tragen wir in zesten.
den verstand
in beinerne urnen
die sich auf unsere hälse stützen.
(ein edles wesen ist heimgegangen!)
dein tavor®-schleichen
als wäre gottesdienst.
dein pfirsicharsch – auf diesem unfassbar
weißen flur – wie auf laken.
mein zäher fiesl,
der auf dich weist

 

zwölf: offen

den leib offen
wo es das leben stört.
du: aus gewohnheit leben wir –
nicht aus überzeugung.
die arme hat man dir wieder geschlossen.
den verstand nicht.
die fäden hast du dir
mit dem daumen
aus dem fleisch getrieben.
das blut.
gute nacht.
pfirsicharsch.