Manuela Bibrach , Foto:privat

Manuela Bibrach, geboren 1971 in Dresden, Dipl.-Ing. (FH) Umweltbildung und –psychologie / Titel der Diplomarbeit: Die Philosophie des Konstruktivismus und ihre Bedeutung für die Praxis der Umweltbildung, gearbeitet als: Verkäuferin, Umweltpädagogin, Auftrags-Texterin

Publikationen
Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, u. a. in: Der Maulkorb, entwürfe, Krautgarten, Dreischneuß, Anthologie zum Silberbergpreis, die Novelle, Anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis, Schlafende Hunde - Politische Lyrik, Versnetze, Am Erker, Bonner Lyrikpreisanthologie, Ort der Augen, Ostragehege, Dresdner Miniaturenwettbewerb …
Einzelpublikation: Zündblättchen Nr. 75, Überelbische Blätter für Kunst und Literatur, Hrsg: Else Gold

seit 2007 Mitglied der Dresdner Literaturgruppe TexTour
seit 2015 Mitglied im Literaturforum Dresden
seit 2015 Autorin bei Fixpoetry

Würdigungen
2012 1. Preisträgerin des 14. Irseer Pegasus
2013 nominiert für die zweite Lesung zum Lyrikpreis München
2018 Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen in Breslau

Laudatio

Marie-Rose Rodewald-Cerha für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2018

Manuela Bibrachs Texte, ein Zyklus aus 5 Gedichten, will man als Performancepoesie rhythmisch vorgetragen wissen. Sie wollen ein Gegenüber, sind publikumsbezogen. So löst die Autorin das Motto des Lyrikpreises „…das sprechen dort treibt luftwurzeln“ geschickt ein: Während des Vortrags stoßen die Luftwurzeln auf Resonanz und werden so zu Rettungsleinen. Vor dem Publikum befüllt die Autorin die Shitbox mit Gefühlen und Gedanken, mit allem, was in ihrem Kopf so „seinen Gang“ geht – und das ist eine ganze Menge! Auf der Suche nach dem Sinn nimmt sie uns auf halluzinatorisch anmutende Reisen mit Bildern aus Science Fiction, Hirnforschung und immer wieder mit Anspielungen auf Musik und ihre Interpreten. So muss Kurt Cobain für einen Suizidversuch herhalten, der registriert und zu den Akten gelegt wird – eine Anspielung auf den Überwachungsstaat? Die Autorin verwebt Träume, Fiktion und Realität zu einem Lebensgefühl, das den Leserinnen und Lesern nicht fremd ist. Als Beobachterin „des Labyrinths aus dunklen Gängen“ führt sie uns vor, womit hinter der Fassade des Funktionierens  zu kämpfen ist. …ich werde lügen lernen kleine Grausamkeiten üben…“ lautet die Überlebensstrategie im mittleren Gedicht, was im nächsten bereits als Kapitulation gewertet wird. Im letzten Gedicht ist die Stimmung zwar nur mit Absinth zu ertragen, doch „das Licht am Ende“ des Tunnels bleibt angepeilt. Die Leuchtraketen SOS bleiben der Leserin noch lange im Auge und Ohr.

Manuela Bibrachs Gedichte erscheinen zunächst sehr privat, haben aber wie manche der verwendeten Begriffe doppelten Boden und lassen sich durchaus politisch lesen. Sie  beschreiben, was unbeschreibbar scheint und vermögen mit ihrer konsequent durchgehaltenen Form die Jury zu überzeugen.
Wir gratulieren ganz herzlich zum 3. Preis.

Gedichte

SHIT BOX

I

Tangentenuniversum zweipunktnull  
ich bin verdammt
weit weg in parallelen
Träumen Ground Control
ruft Major Tom doch meine Schaltung
macht Probleme und die Sterne
sehen anders aus als sonst
im Dopamingeflacker bilden sich
Strukturen Artefakte
Sinn der in der Leere Muster sucht
und findet Bilder Projektionen
Dichterfürstzitat im Licht
absurder Parallaxe
kein Lebendiges ist Eins
es ist ein Vieles Chor der Stimmen
schweigt ich trete durch die Tür
ich trage meinen Helm plus
eine Überdosis Proteine
in der Blutbahn Donnie Darko
wunderbarer Geist ich bin ganz ruhig
etwas wird mich heilen Gottes Liebe
möge mit euch sein

II                                                                  06027

Im Autoradio läuft Track fünf
Nirvana Dauerschleife Nevermind
die Bässe dröhnen und das Armaturenbrett
vibriert ich werde neue Boxen kaufen Kurt
die Quantum Logic dritte Dimension
das ist ein heiliges Versprechen
schreie ich die Windschutzscheibe an
die mich nicht schützen kann
mein Neuroleptikum wirkt äußerst effektiv
seit ich es nicht mehr nehme
bin ich wieder voller Empathie
für Songs die exklusiv für mich geschrieben wurden
Lithiumintoxikation
die Straße windet sich ich halte
auf die Birke zu die sich am rechten Straßenrand
mit einem Nicken nähert grüße
einen Streckenwart
der sich als Milan Sperber Adler oder
wie sie alle heißen tarnt
was man erkennt weil sie
auf installierten Stangen sitzen
auf die Fahrbahn starren eine
Kamera im Kopf die alle Daten überträgt
und meinen Mittelfinger  
registriert und zu den Akten legt
die mich am jüngsten Tag bewerten werden
doch ich habe keine Angst in meinem Kopf
geht alles seinen Gang

III                                                               06027

In meinem Kopf geht alles
seinen Gang was denken soll das denkt
sich selbst ich treibe in elliptischen
Funktionen um die Minimalkonstante
ohne Möglichkeit die Mitte jemals
zu tangieren bleibt mein Kern stabil das ist
die Basis für mein Gleichgewicht
berechenbare Perfektion ich werde lügen
lernen kleine Grausamkeiten  
üben die Insekten auf der Windschutzscheibe
nicht mehr als Metapher denken
nicht mehr sterben jeden Augenblick in dem
ein andres stirbt ich werde lachen
lernen über mich wenn das was denken soll
nicht denkt kann es sich nicht erlösen
wider die Vernunft steht eins dem andern
gegenüber und belauert sich ich bin
mein eigener Beobachter ein Drittes neben dem
was funktioniert und jenem wirren Knäuel
hinter der Fassade meiner Stirn ein Labyrinth
aus dunklen Gängen jeder zweite mit Option
nach unten oder oben Höhe Breite Tiefe
und kein definiertes Ziel

IV                                                               06027

Als sich das dröge Plätschern
der Musik im Radio plötzlich unterbricht
um mich zu wecken Last Surrender von
Matt Andersen bringt meine Indolenz
ins Wanken schickt mir Bilder
auf den Schirm vergessene
Momente die von Relevanz und Freude
singen gottverdammt ich sitze hier
mit starrem Blick die Ohrschlagadern
in akuter Vibration gesmoothte Klänge
dringen in mich ein und füllen
Leere eine Höhlung ohne Sinn
nur eben jetzt für Resonanz für den
Genuss der Kapitulation

V                                                               06027

Ich trinke Stimmung    
aufgegossen mit Absinth und warte
dass ich aus dem miesen Traum
erwache sieben Brücken sieben Jahre
und der helle Schein am Horizont
ist nur das Licht am Ende
meines Tunnelblicks ein weißer Punkt
zu dem ich schwankend navigiere
und der jedem meiner Schritte
meilenweit voraus entgeht
doch ich behalte
meine Peilung zähle
letzte Leuchtraketen SOS