Andra Schwarz

Andra Schwarz ist 1982 in Hoyerswerda geboren, lebt und arbeitet im Rahmen ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Kreativpädagogin in Leipzig. Sie studierte an der Martin-Luther-Universität Halle Kunstgeschichte und Germanistische Literaturwissenschaft und anschließend im Masterstudiengang Kreativpädagogik und interdisziplinäre künstlerische Therapien an der Internationalen Hochschule Calw. Ihr Werdegang beruht auf verschiedenen Bereichen künstlerischer Auseinandersetzung wie Literatur, bildende Kunst, Fotografie und Musik.

Ihre Gedichte wurden in mehreren Zeitschriften veröffentlicht, so z.B. in: Segebl@tt. Zeitschrift für Lyrik & Prosa; in der Literaturzeitschrift Weisz auf Schwarz sowie  in der anthologie poet│bewegt.

Laudatio

Gerhard Fuchs für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2012

Das Verseschmieden ist ein recht altmodisches Handwerk, so wie das Briefeschreiben, für das sich Andrea Schwarz paradoxerweise mit einer Website (http://www.papiernezeile.de) einsetzt. Das gemächliche Schreiben mit der Hand korrespondiert mit einem intensiven Lesen, einmal, mehrmals, hin- und herspringend, wiederholend, Bilder, die sich durch Entziffern formen, zerfließende Gestalten, Irrlichter aus der Erinnerung.

Die Gedichte von Andrea Schwarz sind merkwürdige Gespinste an der Schnittstelle von subjektiver Erfahrung, mythischer Überlieferung und dem Eigenleben der Sprache. Thematisch sind es vor allem alte Menschen, die in den fünf Gedichten aus dem Zyklus „die ich kannte“ im Zentrum der lyrischen Imagination stehen. Fern von jedem platten Realismus ragen sie als poetisierte Märchenfiguren, als Hexen, aus der Kindheit in die Gegenwart, sind aber auch selbst mit „kinderaugen“ ausgestattet, spinnen Geschichten und murmeln als „weise Frauen“ Rosenkranzgebete. Als Greise liegen sie „in laken gepresst“ an der Schwelle zum „hinüben“, schon fast bewegungslos, eben noch eingesponnen ins Diesseits. Innerhalb von Mauern zucken noch Reste von Leben, parallelisiert in der Erinnerung an die Tötung junger Katzen in Leinensäcken, aus denen Blut tropft, so wie in einem anderen Gedicht das Rinnsal in die Kissen der Sterbenden. Der „Schlaf- und Blutrausch“ im Zurückdenken an die Schwester steht für einen Zustand, in dem entrückte (Selbst)vergessenheit, das Verblassen von Erinnerung und der körperliche Verfall mit Gewalt und Verletzung ineinander geschnitten werden - als eine adäquate Umsetzung des physischen Vorgangs auf der Ebene der formalen Konstruktion. Sichel und Messer sind in der von Andrea Schwarz inszenierten Todesmetaphorik konkrete Gegenstände eines Bedrohungsszenarios innerhalb einer archaischen Kinder- und Altenwelt, das im Gedicht für einen Moment lang Tod und Leben einfriert, dem Noch-immer nachspürt und das Noch-nicht erwartet, das sich allerdings als letales vorstellt. An der Schwelle zum Verlöschen werden die Alten zu Kindern und an den „bleichen Kinderhänden“ ließ sich anlässlich der ehemals getöteten Katzen die Todesdrohung von damals ablesen. Bei der Engführung dieser zentralen Motive bedient sich Schwarz mit großer Selbstverständlichkeit des rhythmischen und rhetorischen Arsenals moderner Lyrik, ohne jedweder Effekthascherei zu verfallen.

Dass eine relativ junge Autorin Bewusstseinslagen, die sich vornehmlich am Lebensende einstellen, so prägnant in lyrische Bilder umzusetzen weiß, verblüfft einigermaßen. Dass dieses Erstaunen als Kompliment gemeint ist, braucht eigentlich nicht besonders betont zu werden, ebenso wenig wie die Überzeugung weiterer Worte bedarf, dass Andrea Schwarz den 2. Preis in ganz besonderem Maße verdient hat.

Gedichte

noch immer streift diese eine alte
mit kinderaugen krähentanz
durch wild und wuchs
wie eine wurzel

noch immer spinnt sie
aus staub asche haar
mit fingerknöchelweiß
geschichten zu einer feder
aus flaum von mund und kinn

noch immer murmelt sie
wie eine weise
rosenkranzgebete
zählt die perlen aus
wandelt darin

war die katze im sack
war kein laut mehr
und nichts zu sehen

schlug ein leib an die mauer
war dumpf das geräusch
und bleiche kinderhände
die lange schwiegen

lief das blut aus dem leinen
zog eine spur auf dem pflaster
lag eine tote darin
du kanntest sie nicht

grub ich ein loch
fünf stiche fünf katzen
danach gab es nichts mehr
was uns lust gemacht hätte

auf grund schlugen die herzen hart
gegeneinander große schwester
im schlaf- und blutrausch
trugen die bilder namen wie einst
als wir gemeinsam die puppenleiber zählten
unter den erlen und eschen schon längst
verwunschen und vergessen die elfenhaut
es zuckten und  tanzten die nerven
es pochte laut an meiner brust
zuvor haben sie dir das messer
heimlich unter die kissen gelegt

hinüben liegen sie schon
in laken gepresst
das warten im geviert
von brust zu brust geht ihr atem und häutet sich
ragt eine sichel zum fenster hinein
um leise zwischen fängern und maschen
sie zu spalten

zurück bleibt ein seufzen
ein rinnsal im kissen
in weiß gehüllt
ein (stillgelegter) rest

dort aber
nennen wir es anders

hinter diesen mauern
bricht altershoheit rücken um rücken
dort schläft für immer das kind
augäpfel starr aus furcht und gebärde
zwei treppen hoch unter deck’
die schwalben tauchen ab in alte gemäuer
und einer kehrt nie mehr zurück