Axel Görlach

Axel Görlach, 1966 in Kaufbeuren geboren, lebt als Autor und Sprachlehrer für ausländische Jugendliche in Nürnberg. Pädagogikstudium in Nürnberg, Studium der Philosophie und Neueren Deutschen Literaturgeschichte in Erlangen und Hagen, Studium des Deutschen als Zweitsprache und der Türkischen Sprache in Nürnberg und Istanbul. Veröffentlichungen in Anthologien (u. a. Lyrik der Gegenwart3, Feldkircher Lyrikpreis 2009; Risikoanalyse, Die besten Geschichten aus dem MDR-Literaturwettbewerb 2013), und Zeitschriften (u. a. Der Dreischneuß, Das Gedicht, Dulzinea, erostepost, Ostragehege, um[laut]). Wiener Werkstattpreis 2008, Preisträger beim Irseer Pegasus 2010, Finalist beim 4. Literaturwettbewerb Wartholz 2011, Teilnehmer bei der 1. Lesung zum Lyrikpreis München 2013. Zuletzt erschienen: leben gezeichnet. Gedichte (fza Verlag, Wien 2009).

Laudatio

Julietta Fix für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2014

Axel Görlachs Texte legen Gedächtnisspuren. Aus Ihnen wächst ein Eindruck,  der den Leser durch das Motiv  „Jemand anderes dachte an ihn wie nichts“ begleitet und ihn teilhaben lässt an elementar Erlebtem. Seine Gedichte sind nicht abstrakt, sind fließend mit konkreten Bezügen zur Stadt Istanbul. Man nimmt das Wissen um eine Stadt auf,  szenische Bilder, die  mit den typischen Merkmalen dieser Stadt spielen und  die sich doch in jeder anderen Stadt ähnlich ereignen könnten. Görlach schafft auf engem Raum ein Bild, das sich nicht in Klischees verliert und doch,  der vielleicht besser trotzdem, mit den typischen Merkmalen Istanbuls wie Katzen, Fische, Wäscheleinen, Märkten, Stoffen, Teppichen interagiert. Touristische Wahrnehmung wird zur Innenansicht, Stadtimpressionen tragen wie Katzen ihr Skelett auf der Haut. Gedächtnisspuren fließen wie Schatten die Fassaden entlang. Görlachs Gedichte evozieren ein  Bild, das sich, nach Aristoteles, wie ein Siegelring in Wachs drückt und lassen ein dunkles Leuchten zurück.

Gedichte

engramme

rand   erscheinungen

I

hitzeverzogenes viertel, pressatmung
rußgeschwärzter wände versunken im müll
                      höre ich auf, istanbul zu erfinden

katzen tragen ihr skelett auf der haut, blutige
zeitungsreste (hürriyet/freiheit)
& der abgeschlagene kopf einer makrele,
ihre starren augen wie die von weisen,            
                                        die wissen, das glück

ist nicht hier, ist eine schlangensäule aus delphi,
stachel im fleisch der suchenden
                      oder ein mondkaltes
halseisen derer, die’s fanden (die angst
                                                   es zu verlieren)

II

                                  der raum kippt, die gasse
halten wäscheleinen zusammen, hosen,
hemden wie verlassene häute – so löst sich
        das körperliche auf hier, wird gestaltloses

unheil, eine gecekonduwolke, klebstoffdunst
in der nase des jungen, der auf der treppe liegt,
eingerollt & still in einer anderen welt

& es ist seine stadt, die an ihn denkt
wie an nichts (& nichts sind seine träume
                      aus weißen papiertaschentüchern)

seebeben künden sich an, schwankendes licht
der laterne, aus dem lautlos falter fallen,
marodierende köter mit körpern aus mastix
                                                   stark vergrößert

fließen ihre schatten die fassaden entlang

park • das licht

dort ruhte die schwermut der stadt
unter judasbäumen, ihr angerissener schatten

sickerte ins gras & was von ihm übrig blieb,
sangen die spatzen aufs dach des pavillons

ein regen aus jasmin wehte ein mädchen weg
über den weißen kiesweg ins halbdunkle

einer zeder, die allein stand wie alter gesang

lutscherdreher, luftballons trugen ihre farben
den hügel hinauf – hier war das licht
eine reine form von blau, wir hielten stille

in unseren händen, die umschlug in wind,
die wärme verrosteter schaukeln, schwerelos

strichen schwarzstörche über das gestrüpp,
in dem ein brunnen unterging
& ließen ihr dunkles leuchten zurück

               auf den rändern staubiger schalen

 

sediment  engramme

I

labyrinthe überschminkter gassen, kompression
         der einkaufskarawanen, narkotisch
flossen fehlaromen, schweißvergorenes parfüm,
gewürz & fisch aus den ecken

quollen teppiche, die ballen schriller stoffe,
blaues glas & silberplunder,
an marmorweißen plastiktorsi drehten sich
                                   bauchtanzende gewänder

       so floh ich quer durch die basare
       hinaus bis in die leere
       vor der theodosianischen seemauer

                           (ich hatte eine art wunde auf der stirn)

& über die wellen zog seltsamer glanz
            wie von kreuzrittern, geharnischte nacht,
hohlkehlig wie ein schwert
schnitt das bellen der hunde den wind ab

II

                            als ich im wasser zu graben begann

stieß ich auf skelette ertränkter katzen
& palastrebellen, die sich in säcke krümmten,
     auf verrostete coladosen, kugeln, ketten
am gebein orthodoxer priester

folgte den fluiden gehirnen der rippenquallen,
             die sich wie sufis drehten

über galeerenwracks, tauchte in elektroschrott,
zeichenplankton, das schwebte
                  über sich auflösenden torarollen,
sank durch geborstene schallrohrwälder
                                        armenischer flöten

zum grund. dort sah ich die nacht

im leuchtfeuer der seefedern & was zerfiel
          blieb wirbelndes sediment in den armen
der strömung, ein gedächtnis, das meer

                    behält alles (nichts ist verloren)