Kenah Cusanit

Kenah Cusanit, geboren 1979 in Blankenburg (D). Über das Studium der Ethnologie und einiger toter und lebender (Keilschrift-)Sprachen nach Leipzig gekommen, seitdem meistens dort zuhause. Bis 2008 für die Schublade geschrieben, seither Veröffentlichungen in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien (u.a. manuskripte, Jahrbuch der Lyrik, lauter niemand, Ostragehege, der Freitag). 2009 Lyrik-Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg. 2010 Honorierung beim Brandenburgischen Literaturpreis.

Laudatio

Bernd Schuchter für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2010

Wenn man den Weg geschwommen geht

Es sind seltsame Erinnerungen zwischen alt und neu, zwischen Stadt und Land, von denen die Gedichte der Preisträgerin getragen werden, ein leicht getragener Wortstrom, dessen Fluss in den Gedichten selbst gebrochen wird – durch gespreizte Wörter – ein antiquiert anmutender typographischer Kniff, der die Lesebewegungen irritiert. Dabei ist es gerade diese sprechende, fließende Form der Gedichte, die mit ihrer schlichten Rhythmik eine Stimme hören lassen, die etwas zu erzählen hat.

Es sind weder aufregende Bilder noch ein fesselnder Plot, die für die Gedichte einnehmen, es ist dieses Staunen vor den einfachen Dingen – zwei Menschen, die am Ende einer Straße stehen und dem Wetter zusehen etwa – ein Staunen, dem die Autorin mit präzisen Beobachtungen nachspürt. Miniaturen einer urbanen Wirklichkeit, die sich selbst immer wieder unterlaufen und sich an der Natur, wie sie sich am Stand der Sonne oder ertappten Blesshühnern manifestiert, brechen. Das sind Einschreibungen einer fiktiven Natur, wie sie für den – entfremdeten Beobachter der Großstadt – nur in Vorstellungen möglich sind. Dabei wirkt die Dynamik der Erzählrichtung als Halteseil einer verunsicherten Wirklichkeit, die sich selbst nicht ganz traut. Blesshühner fühlen sich nicht ertappt und Vögel pieksen sich nicht an unachtsam aufgespannten Regenschirmen. In einer überpoetisierten Welt wäre das aber möglich. Von genau diesen Möglichkeiten schreibt Kenah Cusanit. Ihre Gedichte sind Erinnerungsfortschreibungen einer erdachten Wirklichkeit, deren Bilder berühren und irritieren, zwei Beispiele: „genauso einfach geht es nicht weiter: geradeaus.“ und: „und dachtest nicht, gehen hat nichts zu tun mit denken bei tag.“

Kenah Cusanit, Jahrgang 1979, studierte unter anderem Enthnologie und veröffentlichte bisher Lyrik und Prosa in Zeitschriften und Anthologien, zuletzt bekam sie ein Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg, eine junge Autorin, eine talentierte Autorin, denn ihre sprachsicheren Gedichte beeindrucken durch ein wohldosiertes Maß an Poesie, das nicht ins Fantastische abschweift, sie wählt Bilder fernab vom Klischee und sie weiß auch zu überraschen, sie spielt gekonnt mit eingefahrenen Leseerwartungen und Leserinnenhaltungen. Die Sprachbilder sind frisch und überraschend und manchmal erst nach mehrmaliger Lektüre erkennbar: „die vögel in allen ähren sieht man nicht, aus einer anderen zeit, ihre flauschigen bewegungen.“ Kenah Cusanit spielt mit Bildern („am ende der straße fängt das wetter an, ein projekt zu sein.“) oder Denkhaltungen(„der weizen kämmt den himmel, von west nach ost, gegen die bewegung des lichts.“) Dabei nimmt sie sich ganz zurück und lässt sprechen, belehrt nicht und erzählt unaufgeregt von einer Welt – einer sehr poetischen Welt – die man so nur in den Augen dieser begabten Autorin sehen kann. In ihren eigenen Worten: „nach nirgendwohin kommt man, wenn man den weg geschwommen geht, nicht an.“

Für ihre Gedichte erhält Kenah Cusanit verdient den 1. Preis beim diesjährigen Feldkircher Lyrikpreis 2010, ich gratuliere herzlich.

Gedichte

am ende der straße fängt das wetter an, ein projekt zu sein. aus sicht zweier, die dort stehen und dem wetter beim wetterwerden zusehen (hol den schirm raus, vorsichtig, vögel pieksen sich leicht auf). v o n    n    a   h  e m  b e s e h e n, sieht es so aus, als halte sich der regen im ersten stockwerk und nicht lange im trockenen auf. als wolle er nach unten gehen. hinaus aus der stadt. unbesehen fort. von zweien, die noch stehen.

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etwas hat sich verändert in den straßen. der benennung nach komponisten, aus einer anderen zeit, man nannte sie alt. d i e  a l t e n haben es gewagt und sich vom schild ins gras gelegt, vielleicht müssen sie was vergessen, vielleicht was verstecken: vielleicht gras                    flecken und etwas das nicht bleibt, weil es nichts wiegt, weil es leicht ist und legt sich nicht drauf weil es fehlt bei den alten und wird nicht laut.

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so einfach geht es sich nicht, auch nicht für eine weile, durch die alte stadt. der weg verstellt sich: ein blesshuhn steht drauf und tut ertappt, es teilt unsere runde nicht, es weiß zu viel von ahnung, zu wenig über sicht. genauso einfach geht es nicht weiter: g e r a d e a u s. die augen ziehen zur seite, das fällt auf, die unsichtbarkeit der baumkronen und ihr hemisphärisches abbild im laub, fällt auf, was hinter uns lag, nie sichtbar war, nur von dauer, im lauf.

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von hier aus geht es nirgendwohin. von bezeichnet keinen anfang. wie auch aus am ende ist. und zwischendurch. gingst du noch hinterm haus, a m  f l u s s  e n t l a n g. und dachtest nicht, gehen hat nichts zu tun mit denken bei tag. auch sehen nicht. aufgeben nicht. weitermachen erst recht nicht, sähest du, wie der fluss, von hier aus, sich begradigt hat. nach nirgendwohin kommt man, wenn man den weg geschwommen geht, nicht an.

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der weg ist zu ende. von hier aus geht es nur noch senkrecht, die sonne hinauf. der weizen kämmt den himmel, von west nach ost, gegen die bewegung des lichts. die vögel in allen ähren sieht man nicht, aus einer anderen zeit, ihre flauschigen bewegungen. kein schild, das warnt v o r  d e r  w a n d  a u s  l    u      f          t, vor der wir stehen. wo wollen wir noch hin! unsere gedanken auf altes neu legen.