Marcus Poettler

Marcus Poettler, geboren 1977 in Hartberg, lebt und arbeitet in Graz. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften (LICHTUNGEN, manuskripte, Ostragehege, Podium), Anthologien (zuletzt in "Lyrik von JETZT zwei", Berlin Verlag 2008) und im Rundfunk.
2005 Literaturförderungspreis der Stadt Graz.
2007 Literaturpreis der Steiermärkischen Sparkasse
Bibliographie: "fallen. gedichte", Leykam, Graz 2007

Laudatio

Bernd Schuchter für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2009

Innenansichtskarten nennt der erste Preisträger des diesjährigen Feldkircher Lyrikpreises seine topographischen Gedichte, die sich an Städten orientieren – Piran, Warschau, London, Wien –, und doch in erster Linie Innenwelten beschreiben, durch die der Autor oder das lyrische Ich die Welt betrachtet. Es sind Gedichte von sprachlicher Schönheit und stilistischer Sicherheit, die durch ihr lyrisches Moment überzeugen.

Gleichzeitig sind es bescheidene Texte, die nicht laut auf Effekt zielen, sondern in ebendiesen schlichten Bescheidenheit dem einzelnen Bild nachschwärmen, der einzelnen Stimmung, der einzelnen Beobachtung.

„halsabwärts nass die eine stunde in der gischt stehen / madrugada dein blau knirscht unter barfußschritten / auf dem marmorplattenweg zum haus beginnt ein / glänzen lautlos zwischen meine rippen zu kriechen“
(aus Piran am 12. Juni)

Es sind gerade diese ungewöhnlichen Bilder, die Poettler gelingen, die dem Leser die Augen öffnen für eine andere Welt, die mehr Muße braucht, um zu verstehen, nicht bloße Betrachtung, sondern genaues Hinsehen.

Dabei wirken Poettlers Gedichte niemals manieriert oder aufgesetzt, sondern sind sich ihrer inneren, sehr melodischen Stimme bewusst.

Markus Poettlers Gedichte sind nicht nur topographisch verortet, sondern auch zeitlich: piran am 12. juni, warschau am 21. oktober, london am 16. april, wien am 14. juli, die genauen Daten sind wie Anker, an denen sich der Leser anhalten kann; denn immer wieder verschwimmen Innen- und Außensicht, kippen Wirklichkeitsbeschreibungen über in innere Befindlichkeit, wie im Gedicht warschau am 21. oktober:
„chöre aus den vorstadtgeräuschen gekeltert schlecht / ausgerüstet ins durcheinander vorstoßen jede art von / misslingen hat sich abgenützt in zärtlichem kraulen / am hinterkopf wiegt sich eine trügerische sicherheit“

Dabei hat dieses Kippen des Außen ins Innen durchaus seinen Sinn, seine Stringenz, seine innere Logik. Wie zwangsläufig gehört das Außen notwendig zum Erklären der Innenansichtskarten dazu.

Beeindruckend bleibt auch die sprachliche Sicherheit und Reife, die die Texte ausstrahlen, umso mehr, als man nunmehr weiß, dass es sich beim Preisträger um einen Jahrgang 1977 handelt. Markus Poettler hat bisher in Zeitschriften wie Lichtungen, Manuskripte oder Podium veröffentlicht, 2007 erschien der Gedichtband fallen.gedichte (Leykam), der 1. Platz beim Feldkircher Lyrikpreis 2009 ist da nur ein weiterer Schritt auf diesem vielversprechenden, literarischen Weg, und Markus Poettler ein würdiger Preisträger. Ich gratuliere herzlich.

Gedichte

innenansichtskarten

piran am 12. juni

möwen begegnen uns auf der mole scherenschnitte
aus sepia der kalmare gezeichnet eine tropfenform
wandert dem geschlecht entgegen und verliert sich
langsam in den wirkungskreisen gebrochener wellen

halsabwärts nass die eine stunde in der gischt stehen
madrugada dein blau knirscht unter barfußschritten
auf dem marmorplattenweg zum haus beginnt ein
glänzen lautlos zwischen meine rippen zu kriechen

warschau am 21. oktober

chöre aus den vorstadtgeräuschen gekeltert schlecht
ausgerüstet ins durcheinander vorstoßen jede art von
misslingen hat sich abgenützt in zärtlichem kraulen
am hinterkopf wiegt sich eine trügerische sicherheit

in holpriger lärmender musik aus einer hölzernen
spieluhr vom turm aus greifen die fallwinde tief in
metallgeländer verborgen ein skelettiertes rauschen
das berührungslos seine initialen in dich schreibt

london am 16. april

schriftzeichen an den eckhäusern schilderungen der
einzelheiten einer struktur im vielarmigen gefäßbett
aus asphalt und ineinander greifenden summen fließt
die unruhe eines andauernden natürlichen verfalls

die zugluft legt die hornhaut trocken das lid kratzt
ein motorengeräusch im tagebuch eine eigenwillige
reflexion aus tiefen falten taumelnd schwindelnd das
zähnebleckende antlitz einer ungezähmten jahreszeit

wien am 14. juli

die umwege verdunsten in der gleichgültigkeit
entstellter straßen eingepfercht und stahlgeschient
an brüchigen beton streifend an parkbänken im gras
an manchen stellen die welt selbst in sich spiegelnd

durstig und leichenstill liegt selbst das getier brach
rissig bis ins chitin hinein staubig selbst am gaumen
erträumt es wasserrieseln aus vertrockneten poren
quillt jedoch nichts weiter als leises donnergrollen