Mechthild Podzeit-Lütjen

Mechthild Podzeit-Lütjen, in Bremen geboren, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Stipendien, davon mehrere Reisestipendien nach Kuba. Publikationen in internationalen Zeitschriften und Anthologien neben Herausgeberschaften. Mehrere Einzelpublikationen.

Laudatio

Mechthild Podzeit-Lütjen versteht es vorzüglich, die Zeilen springen zu lassen, mit genauem Blick für Details und unverbrauchte Bilder. Durch die Technik des Zeilenbruches werden neue Verbindungen hergestellt, es entsteht eine atmosphärische, assoziative Lyrik. Die Autorin besitzt ein großes Ausdrucksrepertoire und präsentiert ihre Gedichte wie „Video-Stills“, die eine Geschichte erzählen: „Dosen kleiner Stolpersteine“, wie es an einer Stelle heißt. In ihren Texten steht die Welt spaltbreit offen und mit großer Dichte fallen Räume, Situationen und Momente herein. Formkongruenzen, z.B. von Blüte und Urne oder von Hummel und Flieger werden meisterhaft motivisch durchgeführt und laden dazu ein, Zeuge des poetischen Flugs zu sein.

Gedichte

SECHS BUCHSTABEN

das Jahr ist jung
und lau ich tret
die Stufen hin du
stellst dein Fahrrad
ein und drehst dich
zu mir um sagst
Servus und ich sage
Tschau

2003 für Ernesto Uli Edmund

BÄR MIT ROTER SCHLEIFE

hast ein Dach
überm Kopf
und ein Brot
in der Hand
hast keinen Bären
aber der weich
liegt in deinem
Arm
gräbst Brunnen
der Sprache
schürfst in dein
Gedächtnis den
Bezug statt
des Besitzes
nicht fassbar
verwandelt
selbst bliebe
der Bär
stumm

hast ein Dach
überm Kopf
und ein Brot
in der Hand
und ein Bär
in deinem Arm
hart und stumm
schaut dich an
hättest alles
zum Lachen
weißt nicht
erfunden oder
bewahrt fängt
selbst der Bär
im Arm
zu leben an.
(für Katja)

HEILE WELT ODER SICHTBARES GLÜCK

über den Senffleck, wo die
zu öffnende FischDose hängen
wir ein Poster, ein gelbes
(von Korab) auf den alten
Wachs stellen wir eine
neue gerade Kerze, schief
den SossenSpritzern auf
der Brust ziehen wir einen
Wams über, genannt Weste
wie Ruß die Decke einfasst
den desolaten Parkett
Boden decken wir mit
einem Teppich ab selbst
Schimmelflecken von Pflanz
Schalen riechen unsichtbar
über die FederKernMatratze
läßt sich kein Wirbel täuschen
alles was wir suchen
ruht in Schubladen aus
Tüten quellen bloss Bier
Dosen kleiner Stolpersteine
im Regal hängt Rahner
verloren neben Augustinus
in Wahrheit steht
hier geschrieben herum
du sollst dir kein
Bild sollst kein Gummi
im Reinen mit dir
selbst hinkst du im
Wams nie wolltest
du ein Haus ein
Zelt sagst du wir
hauen auf den Putz
famos der Moder staubt
im HüttenZauber

So.29.12.2002

BRAILLE PENTIMENTI

wenn in das Gewebe aus
Knoten am Morgen Licht
einschießt Bilder in Pixel
den Nebel verdichten Tau
auf die Finger Kuppen
deiner Hände fällt mit
denen du über Punkte
streichst, Textur kleiner
Spitzen als du diesseits
in Afrika BastMuster
irden in Pigmenten
zu Farben ausmalst

für Otto Lechner

DER MOHN, welcher
sich selbst ohne
Menschenhand
ausgesät hatte
auf der Grenze
zum Niemands
Land weiss rot
Violett weit offen
mit einer Kapsel
als reifende Urne
langsam reifende
Körner Fülle Träume
Betäubung Rausch
Ewiges Vergessen
eine Hummel in
nachtblau geäderter
Blüte wälzend sich
trunken toll flügelt
nachtblau geädertes
Laken, Betthimmel
erbebt den Pelzleib
4Flügel zart gerädert
darüber Himmel nichts
weiter entsetzlich
hoher glühender Blau
Himmel hellblau
Stahlblau dunkelblau
zuletzt einfach
schwarz
über der Grasnarbe
dicht daneben
vollkommen abgeblüht
grüne Kapsel zugedeckt
voll milchiger Samen
weich die Kapsel der
Samen bald hart
die Kapsel schwarz
der Same Opium
jeder ein Träumchen
denselben Stengel
Blüte und Frucht
ein Flieger dann
über den Himmel
das Leitflugzeug
die viermotorigen
Bomber deren Einschläge
schon zu fühlen ehe
ihre Ladung zerplatzte
auf die Erde fiel –
abgestützt, schön von
lauter zartblauen
Adern abgesteifter
Bunker, hier geschieht
nichts das Brummen
verschärft sich immer
mehr der Himmel
musste ganz bedeckt
sein vor lauter Flug
Zeugen –