Tobias Falberg, Foto: Dietlind Radenz

Tobias Falberg, geboren 1976 in Lutherstadt Wittenberg, lebt im Raum Nürnberg. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.

Er veröffentlicht Lyrik und Prosa. Gemeinsam mit dem Maler Hans-Peter Stark erarbeitet er Bild-Text-Gedichte, die u. a. in der Alten Schmiede in Wien („Hundertvierzig Quintillionen Grad“) sowie im Galeriehaus Nord in Nürnberg („Mitunter rosa Atemluft“) ausgestellt wurden. Im Frühjahr 2012 eröffnet in der Lettretage die erste Berliner Ausstellung von Bild-Text-Gedichten.

Falberg war Stipendiat des Klagenfurter Literaturkurses (2004), erhielt den Literaturpreis der Nürnberger Kulturläden (2005), den Lyrikpreis der Nürnberger Kulturläden (2007), wurde zwei Mal für den Leonce-und-Lena-Preis nominiert und erhielt ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop (2010). Im August 2011 verbrachte er zusammen mit Hans-Peter Stark einen Arbeitsaufenthalt in der Villa Concordia in Bamberg.
Falbergs Gedichte erschienen in Wespennest, PoetMag, EDIT, Ort der Augen, außer.dem, Blumenfresser, Das Gedicht sowie in den Jahrbüchern der Lyrik 2007 bis 2011, S. Fischer Verlag/ DVA, im Rundfunk und in der Tagespresse.

Bücher: Gedichte aus dem Zyklus Fiel ein feuriger Regen in der Anthologie zum Literarischen März „Unter der Folie aus Luft“, Brandes & Apsel; „Landschaft mit Ufo“, Erzählungen, Ursus Verlag.

Laudatio

Kenah Cusanit für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2011:

Der Himmel gibt nicht nach

Hier wird nicht in Bildern gesprochen, hier wird gezeichnet. Mit einem feinen, aber spitzen Stift. Aber nicht drauflosgezeichnet. Vorher wird das Zeichenpapier bestimmt: „Vor mir die Fläche“ hat der Autor dem ersten Gedicht als Titel vorangestellt und damit für alle fünf Gedichte eine Projektionsfläche geschaffen, auf deren Grund er zu zeichnen beginnt. Oder einen Interpretationsschlüssel geliefert, für all diejenigen, die glauben, Gedichte interpretieren zu können oder im Falle einer Laudatio dazu angehalten sind, zumindest ansatzweise so zu tun.

Es ist keine neue Erkenntnis (aber eine oft vergessene), dass sich der Mensch, um zu verstehen, nach außen projiziert. Im diesem Falle in die ihn umgebende Landschaft. Und umgekehrt die Landschaft beschreibt, in dem er sie sich einverleibt. Daran erinnern mich die Gedichte des Autors und Zeichners Tobias Falberg. Und daran, dass dieses Beschreiben und Verstehen, im modernen Kategoriendenken, ein großartiges Sichselbstverfehlen ist. Denn die „Salzwasserfläche“ wäre „begehbar, wären nicht die hellen, / schnurgeraden Schaumkämme“.

Was ist innen, was außen? Wo hört der Mensch auf, wo fängt die Umgebung an? „Das Flussgrün konkurriert / mit deinen Augen. / Halb reflektierter Tag / auf der Oberfläche, / halb transparentes Innen ... du beugst dich vor, / das Grün gegenüber im Blick.“ Erst wirft das Ich etwas von sich nach außen. Ist das Hinausgeworfene fern genug, versucht es, sich ihm wieder anzunähern. Doch „der Himmel gibt nicht nach, / egal wie hoch du kommst“. Nur manchmal scheint es zu gelingen, den eigenen Schatten einzufangen. Ein „Griff nach Sternbildern“ ist das dann, ein poetisches Moment, auch wenn oder gerade weil die Sterne unerreichbar sind. Für seine ruhige aber nicht langweilige, klassische aber nicht antiquierte, seine direkte aber unaufdringliche Art des Sternegreifens bekommt Tobias Falberg den 10. Feldkircher Lyrikpreis, zu dem ich herzlich gratuliere.

Gedichte

Vor mir die Fläche

Nachtcafé, Küste. Die Salzwasserfläche
scheint begehbar, wären nicht die hellen,
schnurgeraden Schaumkämme

vor meinen Füßen,
das ganze Blickfeld blank
polierter Basalt, darin die Balken
flackernd anrollen,

Gasflammen,
ein Zündholz am Quadrat
um die Kuchenform der Kindheit,
die ganze Welt

zu meinen Füßen. Die Wasserfläche
scheint begehbar, überall zu sein.
Du kannst deinen Körper wegdenken,

bist nicht mehr da,
die Flammen.

Wanderung in eine Ferne

Griff nach Sternbildern,
ich fange eins
dieser blinkenden Glühwürmchen,
die so unverhältnismäßig viel Energie
einsetzen für ihre Signale.

Ein Maß an Zeit,
ein Zimmer in der Nähe,
das Meer bewegt und nicht zu kalt
für die Nachtbaderinnen
auf Fußspitzen jauchzend durch kantigen Kies:
Alles Nötige findet sich
in Reichweite.

An manchen Abenden aber
scheinen die Sterne
weiter entfernt.

Ich sitze und falle
und mit mir die Felsen
driften ins All.

Kiesel taxieren

Das Flussgrün konkurriert
mit deinen Augen.

Halb reflektierter Tag
auf der Oberfläche,
halb transparentes Innen,
Katzengold,
kleine Kiesel,
die in Spiralen aufsteigen
und zurücksinken.

Du beugst dich vor,
das Grün gegenüber im Blick.

Fische stehen
in der Strömung,
verschieben sich, taxieren im Wasser
ihre unsichtbare Bahn.

Schneewehen

Siebzig Stunden Sturm, das Licht, über Tage
kaum sichtbar, kehrt reinweiß zurück

auf Hiddensee.
Bleiben ist unvermeidbar. Kälte
wächst in den Gelenken der Landschaft,
die versucht, sich schmerzfrei zu lagern.

Ohne Strom
fällt Fortschritt aus, die Melkmaschine
ersetzen Hände: Hektik

und Geduld. Langsam
stapelt das Meer Packeis.
Helikopter fliegen Schwangere aus.
Ihre Wehen schrauben sich
am Rotor hinauf. Unten reinweißes Laken,

Kaiserschnitt. Über dem Schneerand
geben Baggerarme Zeichen.

Scheitelpunkt

Der Himmel gibt nicht nach,
egal wie hoch du kommst.
Kälte schmiedet
Klingen auf deinem Gesicht.

Nachts bilden
Körper und Zelt
eine Keimzelle.

Im Schneehang
ersetzt du das Denken
durch Weg und Bewegung,

du steigst,
der Druck sinkt,
das Bewusstsein dehnt sich
in die Sauerstoffarmut des Gipfels:

Zackenhorizont, Stille,
die über sich hinauswächst.