Udo Kawasser, geboren 1965 in Vorarlberg. Studium der Deutschen, Französischen und Spanischen Philologie in Innsbruck und Wien. Zeitgenössischer Tänzer, Choreograph, Dichter, Übersetzer spanischsprachiger Literatur. Buchveröffentlichungen: kein mund. mündung. Gedichte. parasitenpresse, Köln, 2008, Einbruch der Landschaft. Zürich – Havanna. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2007. Zahlreiche Veröffentlichungen in diversen Zeitungen und Zeitschriften und Anthologien. Stipendien, Preise, Festivals, zuletzt: 2009/10 + 2006/7: Staatsstipendium für Literatur (Ö), 2008: dulzinea-lyrikpreis, D, 2007: 2.Preis beim Prosapreis Brixen/Hall für Erzählungen aus dem „Metamorphosen“-Projekt. Teilnahme am V. Internationalen Poesiefestival in Granada/Nicaragua, Februar 2009, am Internationalen Poesiefestival Istanbul 2010 und am XXI. Internationalen Poesiefestival in Medellín im Juli 2010.
Laudatio
Marie-Rose Cerha für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2010
Von Ost nach West – in Sehnsucht mit Fragen
Die eingereichten Texte von Udo Kawasser sind sehr persönliche Texte – tagebuchartig – ein Briefwechsel vielleicht? Wir lesen über Erinnerungen an ein Zusammensein in Istanbul.
Wenngleich der Autor in einer gezähmt gediegenen Sprache diese nicht revolutioniert, gelingen doch neue nie gelesene Bilder und lassen die Texte oszillieren zwischen rhythmischer Prosa und Poesie. Persönliche Rückschau mischt sich mit Geographischem und trägt den Leser von Adressat zu Empfänger, von West nach Ost, eingehüllt in Sehnsucht und Melancholie. Eindringlich ist der Text, voller Fragen, deren Beantwortung des Lesers Phantasie überlassen ist.
Wir haben es hier mit subjektiver Empfindungslyrik zu tun, die es schafft, inhaltlich und sprachlich zu interessieren oder gar sich identifizieren zu können.
Die Jury gratuliert Udo Kawasser zum 3.Preis!
Gedichte
die blaue reise. donau. bosporus.
I.
es ist schwer mit liedern geduld zu haben
wenn ich dich anschauen möchte
und du mit den bäumen tanzt du sagst
du könnest manchmal den sonnenaufgang
riechen ich aber bin gelb von der zeit
und so vielen uneingestandenen blicken
du weißt wir werden keine erinnerungen
an unsere zukunft haben
komm erzähl mir istanbul und ich
ziehe durch die dunkelbraune stadt
deiner augen erzähl mir vom blick
auf den bosporus von den blau
gekachelten nächten den morgen
wenn hunde und katzen erwachen
die menschen mit ihren maschinen
war das deine stimme die da sprach ich
versuche nichts zu sagen denn es ist
unmöglich in dieser fremden sprache
es müsste ein wort mit ver sein du
hast doch ein talent für schlimmes
deutsch kann ich dich verüben ein bisschen
mit jedem tag jetzt vergesse ich schon
die haltestellen schicke dir ein anderes lied
II.
konstantinopel klingt wahrscheinlicher
schreibst du heute bin eine anzeige
mit flug hotel und vollpension
am morgen ist es immer schwieriger
ohne dich denn man kann beim lesen
einschlafen aber nicht lesend erwachen
wie ist das mit dem licht und der liebe
bist du eine welle oder ein teilchen
in der welt in mir du führst
mich in den wald und erzählst
dort das meer aber du zeigst mir
keinen himmel damit ich den weg
zum fluss allein finde das vergessen
des bewusstseins braucht ein anderes
bewusstsein vielleicht haben wir uns
nie – siehst du – schon zerfallen
die sätze werden weggeweht
schreiben sich anderswo fort
III.
ich schlage das wort grämen
nach natürlich kann man alle wörter
wieder lesen doch wem gehört
dieser schmerz weshalb bin ich hier
wo müsste wo sollte wie ist
das mit den modalverben
wo könnte ich nach dir suchen
an diesem morgen die tage
kommen ja doch auf ihren wegen
mit unterstrichenen momenten die wir
nicht verstehen wie lange wird es
dauern ihre bedeutung zu finden
wie viele österreichische wie viele
türkische minuten sag mir schon
welche fragen kann ich stellen
damit die briefe nicht mehr zurück
kommen ich du oder dein herz
einer von uns braucht einen sprachkurs
IV.
heute komme ich in klein
buchstaben zu dir auf schneisen
im wörterbuch ich muss weg
ich muss fort ich muss nach
ich sitze unter dem baum
deiner sprache ein buch ein bruch
in der landschaft du sagst wir leben
solange die gedichte nicht zu
ende sind ich kann mich nicht aus
drücken die fehlenden seiten
nicht ausdrucken (ein drucker
problem) wenn ich irgendwo
in europa wäre ich nähme jetzt
ein flugzeug die welt das leben
das buch höre das knistern der erde
der wimpern muss vereinfachen: ICH
dann finden die sätze ihre ruhe
V.
nicht nur nord und west und süd
auch der osten kann zersplittern
eine lüge dass wir eine brücke
seien wir sind der müllhaufen
inmitten der himmelsrichtungen
du schreibst alle wege verlaufen
sich ohne dich keiner führt
mehr an die donau zurück
gestern habe ich dir einen brief
geschrieben und bin den ganzen
tag gefahren geschwindigkeit
hilft beim vergessen
ich habe mit dir am fluss
ich habe in swanns welt gelebt
du flüsterst die wiedehopfe
ziehen schon in den süden
es gibt eine insel hier liebster
die sucht mitbewohner denn
der bosporus ist eine meerenge
und man muss mindestens so weit
weg von istanbul sag mir
was für hände hat deine liebe