Udo Kawasser

Udo Kawasser, 1965 in Hard/Vorarlberg geboren. Studium der deutschen, französischen und spanischen Philologie. Tänzer und Choreograph. Einige Veröffentlichungen. 2001 Vorarlberger Literaturpreis. Übersetzer des Buches „Die Chinamaschine” des kubanischen Autors Carlos A. Aguilera.

Laudatio

Das Zitat über das Gedichtelesen trifft für mich bei Udo Kawasser in besonderer Weise zu: Der Leser muss sich hier nicht nur auf das Gedicht sondern auch auf sich selbst einlassen. Er muss sich den Abgründen, die sich auftun, stellen und in den Spiegel blicken, den ihm die Natur vorhält. Der Text erschließt sich nicht ohne Mühe, ist schwer und dicht. Sieht man hinter die Bilder, entfaltet sich ihre mythische Schönheit.

Der Wechsel von Pathos und Sachlichkeit durch die Verwendung von naturwissenschaftlichen Begriffen erzeugt Verstörung und Spannung. Vor uns tut sich eine individuelle Erlebniswelt auf, die eigene Erinnerungen weckt und auf eine geheimnisvolle Reise entführt. Naturzustände und menschliche Befindlichkeit verschmelzen. Die Natur trägt Züge menschlichen Verhaltens und spielt den Ball doch immer wieder unerwartet einem Ich oder Du zu. Kryptisch fordern die Gedichte von den LeserInnen eine intensive Auseinandersetzung mit den rasch wechselnden ungewohnten Bildern und ziehen einen dabei in bann – nicht ohne einen Hauch Melancholie zurückzulassen...

Wir gratulieren Udo Kawasser zum 3. Preis !

Gedichte

HERMETISCHER ABEND ( BELVEDERE )

die luft körnt am ende
des sonnenpfeils im zirpen
der grillen spukt noch
der sommer nach
aus den molekülen tritt
unscharfe finsternis unter
den fledermausarabesken
brechen die dinge dunkel
in sich zusammen nur
die geometrie trägt gefasst
die schwerkraft der nacht

AM MONTE FUSCO

für familie corcione

ein scirocco seit letzter nacht
in meinem kopf und rüttelnder falke
eine art dampfküche oder in böen prasselnde
sahara zwischen orangen feigen zitronen
bäume geschmetterte fragezeichen
jener rotkehlengesang aus einem anderen
          november
auf chios die feuchte hundeschnauze
im gesicht hast du schon
die ersten mandarinen ihren geruch
an den fingern

mit der schlafmangel an den schläfen
schon aufgestanden dieser anfälligkeit für wind
gedichte luftfracht aus südlichen breiten
ein raubtieratem hat mir die hefte
vom dach geweht die linien der küste
gelöscht aber vielleicht
hat auch die insel zu driften
begonnen das schwindende kap
von misenum monte
di procida

UVA CALETA (STRANDWEIN)

für michael donhauser

auf den von nieren überwucherten
stränden wo baum um baum
sich unter den meereswind duckt
mit feistem rotgrünem glanz
wähnt keiner geschwollene venen
verzweigt pulsierend in jedem blatt
und eine schar unreifer mädchen
dunkeln über der blätter scharfem rand
was purpurn hier der durst sich
brockt wälzt die zunge pelzig
im mund das fleisch lässt
den gaumen zurück mit fragen
abgeworfen fügen sich die blätter
schwarz zu einem raschelnden laken
glimmen brüchig im mittag
bis sie zu sand veraschen

SPUREN , GEFÄHRTE

habe heute morgen mit dem fahrrad
das weiß in stücke geschnitten
könnte dir eine blütenweise
schneedecke zum zudecken
schicken mit rabenzeichen
in gestickten bäumen
es war die frühlingssafranwiese
in sils maria (26.5.2001)
das gespräch im gebirge
zwischen den gletschern
die im see knieten aber auch
ein winterliches erblinden
als würde das gespräch...
ich gehöre zu den maschinen
welche zerspringen können

(14.8.1881)

 

EINBRUCH DER LANDSCHAFT (WAGRAM)

mit dir
das gedicht
wie eine landschaft betreten
am ende des feldes
in der schönsten zerstörung
unser zutrauen auf ausscherenden
bögen über die erstarrte
peristaltik der erde
die fehlfarben und vernarbungen
im vertrauten raum
in den spalieren herbstfahler halme
baum busch und brocken
wie hingeworfen in ihren genauen
distanzen
(vegetierendes schlachtengetümmel)
ein bruch in der landschaft
verwerfungen der zeit
und die irritation kleiner blüten
als ich mich am welken geruch
des bodens festatme
und du die bögen vollendend
mit deinem körper
meinen rücken deckst