Tabea Xenia Magyar

Tabea Xenia Magyar, geboren 1988 in Zürich, wo sie Philosophie, Romanistik und Politik­wissen­schaft studierte.
Seit 2012 Studium in Zeit­genössischem Tanz am Hoch­schul­über­grei­fenden Zen­trum für Tanz in Berlin. Sie ist Mit­glied des Berliner Lyrikkollektivs G13. Letzte Publi­kation: 40% paradies. gedichte der lyrik­gruppe G13 (bei luxbooks 2012).

2012 Autorin beim Pro­jekt Bewegungs­schreiber, das Dichtung und Tanz zu­sam­men­brachte.

Bücher:    G13. das war absicht (SuKuLTuR 2013)
Zeitschriften:    no man’s land 7; Bella Triste 36
Kassette:    Gedichte (Mouca 2013)
Anthologien:    40% Paradies. Gedichte des Lyrikkollektivs G13 (luxbooks 2012)

Laudatio

Ron Winkler für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2013

Wir sind sofort da, sind sofort dabei. »phase schnee«. Schon gleich zu Beginn finden wir uns in bereits begonnenen Abläufen wieder, in einem Verlauf, in einer somnambulen Drift. Wir vermuten ein Ich, aber das Ich nennt sich nicht, erklärt sich nicht. Vielleicht ist es größer als eins, vielleicht ist es einige, viele - aber in den Textstücken, die uns vorliegen, hat sich das, was Ich sein könnte, ins Ungewisse ausgebreitet. Es ist nicht vertieft.

Aber es bewegt sich, ist interessiert. In gewisser Hinsicht konstituiert es sich durch diese Mobilität. Zwischen den geheimnisvollen Illusionismen erkennen wir einen Drang ins Offene – instinktiv und also ebenso sehr Geheimnis. Man gibt sich aufgeschlossen, die Rezeptoren sind auf aufmerksam geschaltet. Jedoch bietet sich oft nur Anschluss ans Ungefähre. Man kann es sich eben nicht aussuchen, wie es ist. Und auch schwer nur das Gute vom Bösen scheiden. »jemand hatte den schädel gespalten und nicht verzehrt.« Well well.
Zum Schneegestöber gesellt sich das Störmomentegestöber. Manchmal sind die Informationen so (»man hörte sie wachsen«), dass sie den Menschenverstand außer Kraft setzen. »fell auf wiesen«. Auch das ein »probealarm« der Psyche, um ihre Funktionalität zu testen. Sie ist osmotisch, baut illustre Poesieportale in die Wahrnehmung ein. Vielleicht um abzufedern, was sich nicht kontrollieren lässt. Vielleicht einfach nur, um zu federn. Kontrolle ist ohnehin nur eine fixe Idee.

Es kann doch schließlich schön genug sein, einfach nur zu ahnen, zu hören, zu durchdringen. Abzutasten, wie sich die Psyche zwischen Wirkmöglichkeiten und Merkwürdigkeiten verhält. Einerseits ist sie ein fragiles Ding im Wärmebereich poetischen Sprechens, doppelbödig entspannt, andererseits auf abgefahrene Weise nüchtern, »hingestellt und stehen gelassen«.

Wir befinden uns auf einer Reise: durch die Enge der Weite und die Weite der Enge zugleich. Das Ich-Wir, auf das wir stoßen, das Wir-Ich, scheint geneigt, sich möglichst reibungsfrei durch seine Umgebung zu bewegen. Die surreale Erfahrung wird nicht unterdrückt. Und wer hier spricht, der kategorisiert auch nicht mehr, sondern gibt sich hin daran, Kollektor zu sein für Verstörendes, Betörendes, für Rapiditäten.
Für das hohe Niveau der Engführung von Poesie und Psyche, das geschmeidige Spiel mit Ambivalenzen, die in einer auf heterogene Weise homogenen Dichtung münden, bekommen Tabea Xenia Magyar und Tristan Marquardt gemeinsam den Feldkircher Lyrikpreis 2013 zugesprochen.

Ausgezeichnet wird eine sinnliche, souveräne Sprache, der die Aggregatzustände zeitgenössischer Poesie nicht fremd sind und die mit feinem Enjambement auf sowohl bizarr expressive als auch verzärtelt anthropomorphisierende Metaphorik zurückgreift. Die Kollaboration beider Autoren beschenkt uns mit einem spannungsreichen, immer wieder neu zu erschließenden Tableau, in dem alles gleichzeitig ist: Ausgangspunkt und Ankunft, Bewegung und Stasis, äußerer Reiz und inneres Austarieren.
Im geheimnisvollen Unterwegssein vielleicht nicht zum Stein der Weisen, sondern zum Bergkristall des Ankommens – ein Projekt, das das Risiko nicht scheut, sich auch Unwägbares einzuverleiben und für sich sprechen zu lassen – in diesem Unterwegssein erkennen wir ein großes Potential für weitere Texte. Und dem wünschen wir überaus viele und wunderbare Wege.

Gedichte

(Zusammen verfasst mit Tristan Marquardt)

satt liegt meine hand in der wölbung deines rückens
Elisabeth Steinkellner

 

I

phase schnee, über nacht, man hörte sie wachsen
wie gras. fell auf wiesen, die bei offener witterung
schliefen. jemand pfiff. jemand anderes fragte sich,
wer hier pfiffe. müde regte sich ein rücken, reagierte
instinktiv. zog los. sammelte füße ein, waden
und knie. taleinwärts die aufgeschreckte kirche:
zwölf schläge probealarm für den neuen tag.

II

auskünfte über ankunft, mögliche richtung. stießen
hüften dazu, bauch, brust und hals, schlossen sich
türen im eis. jemand hatte den schädel gespalten und
nicht verzehrt. jemand anderes sang: dorfbrunnen,
zweierlei wasser waschen die dreckige hand. arven
durchdrangen die beuge, alles hob um ein paar meter
an. reihum die berge, hingestellt und stehen gelassen.

III

scharen von schwaden, man ahnte die finger am regler.
sie drehten das weiß auf laut. fing rauch an, flüchtig
zu zucken, gab er seinen aggregatszustand auf. jemand
sah das und hielt sich steiler an höhe. jemand anderes
dachte an ihn wie an nichts. geschichtet, nur leiser. dann
reihte sich scheit an scheit vom waldrand zum fluss. als
dächte die strömung in bäumen. vertiefte sich im schnee.

IV

fenster erleuchtet, verlangten den einlass. man sah
jetzt überall augen. fand nerven, band sie am mund
an: bahnen elektrisch, saiten im hang. abrupt wuchsen
massive zusammen und ruhten sich schnaufend aus.
jemand schrieb das ins gipfelbuch. jemand anderes
las: zweierlei wasser, waschen einander. ganz hinten
der ausgeknipste tag. alles ließ um ein paar meter nach.